Liz Truss hat sich so selbst zum Liebling der grundlegend europaskeptischen Parteibasis der Konservativen gemacht. Die fast 58 Prozent der Stimmen, die sie jetzt bei der Abstimmung über die Nachfolge Boris Johnsons bekommen hat, begründen sich vor allem darauf. Die bisherige Außenministerin hat sich selbst zur neuen Margaret Thatcher stilisiert. Ähnlich wie die "Eiserne Lady" einst Brüssel mit ihrer legendären Handtasche drohte, soll sie jetzt Fakten gegenüber der EU schaffen, wo bisher noch recht faule Kompromisse reichen mussten.
Widerspruch in sich
Das erste Ziel, das Truss jetzt mit ihrem angekündigten EU-Kollisionskurs anpeilt, ist genau so ein Kompromiss: das Nordirland-Protokoll. Über Jahre war es das quälendste Thema der EU-Verhandlungen. Der Versuch, die neue EU-Außengrenze zwischen Nordirland und Irland – und damit mitten auf der irischen Insel – nicht allzu dicht zu machen und zugleich Kontrollen von Waren innerhalb Großbritanniens möglichst zu verhindern.
Kaum in Kraft gesetzt, wurde klar, dass das Nordirland-Protokoll nicht so recht funktioniert. So wurde es zum Feindbild der Konservativen, die die Einheit Großbritanniens gefährdet sahen.
Truss hat zwar deutlich gemacht, dass es auch weiterhin eine Regelung geben müsse. Die derzeitige aber müsse so rasch wie möglich aufgehoben werden. Genau das, wonach ihre konservative Wählerbasis giert. Wenn sie es nicht schaffe, das Protokoll zu kippen, verriet ein einflussreicher britischer Parlamentarier der deutschen Welt, "werden die EU-Skeptiker sehr schnell den Glauben verlieren – und das bedeutet Ärger".
Brüssel bleibt hart
Brüssel dagegen zeigt schon in ersten Reaktionen auf die neue Premierministerin klare Kante. Truss, so meint etwa David MacAllister, federführender Außenpolitiker des EU-Parlaments, habe schon als Außenministerin gegen das Nordirland-Protokoll Stellung bezogen und darauf hingearbeitet, es außer Kraft zu setzen: "Dieser einseitige Schritt ist und bleibt zutiefst bedauerlich."
Während also Truss schon im Vorfeld klar gemacht hat, dass die EU ihre Position ändern und Änderungen zustimmen müsse, will man in Brüssel hart bleiben.
EU-Revanche
Und diese Härte könnte weit über das Nordirland-Problem hinausreichen. Schon sind andere Verhandlungen mit Großbritannien auf Eis gelegt, etwa jene im Bereich Wissenschaft, wo Großbritanniens Universitäten von den eigentlich fix geplanten gemeinsamen Programmen ausgeschlossen werden könnten.
Das EU-Parlament soll außerdem bereits an einer Gesetzesvorlage arbeiten, die quasi als Strafmaßnahme wegen Bruch des Brexit-Abkommens den Handel mit Großbritannien mit harten Auflagen und Beschränkungen belegen könnte.
Viele europäische Spitzenpolitiker aber rechnen ohnehin nicht damit, allzu lange Liz Truss gegenüber sitzen zu müssen. Die nächsten Wahlen in Großbritannien sind 2024, und die Umfragen für die Konservativen ausgesprochen schlecht.
Rücktritt der Innenministerin
Die britische Innenministerin Priti Patel hat kurz vor der Ernennung der neuen Premierministerin Liz Truss ihr Amt abgegeben. "Es war die Ehre meines Lebens, unserem Land als Innenministerin in den vergangenen drei Jahren zu dienen", schrieb Patel in ihrem Rücktrittsschreiben an den scheidenden Premierminister Boris Johnson am Montagabend.
Patel wird eng mit einigen der umstrittensten Reformen aus der Regierungszeit Johnsons in Verbindung gebracht. So schloss sie etwa ein Abkommen mit der Regierung Ruandas über die Auslagerung der Schutzpflicht Großbritanniens für Asylsuchende. Ebenfalls ein von Patel vorangetriebenes Projekt war eine Reform des Polizeigesetzes, das nach Ansicht von Kritikern eine ernsthafte Einschränkung des Demonstrationsrechts zur Folge hatte. Proteste können dadurch von der Polizei unter anderem wegen Lärmbelästigung beendet werden.
Ob die konservative Regierung unter Truss jedoch einen moderateren Kurs einschlagen wird, ist mit dem Abgang Patels keineswegs gesagt. Als aussichtsreiche Kandidatin für den Posten der Innenministerin gilt die bisherige Chefjustiziarin Suella Braverman, deren Ansichten als mindestens genauso rechtskonservativ gelten.
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