Wie die Tory-Ikone Thatcher predigt ihre Ein-Frau-Tribute-Band freien Markt, weniger Staat und mehr Patriotismus. Ihr Team hofft aber, dass Truss, die wie Thatcher in Oxford studierte, auch sonst in die legendären Fußstapfen treten kann. Denn wie einst das erste weibliche Regierungsoberhaupt des Landes muss sie vielen Zweiflern, die sie als Ideologin des rechten Tory-Flügels sehen, beweisen, dass sie Partei und Land einen und effektiv führen kann.
„Poundshop Thatcher“, also Thatcher für Arme, nennen sie Kritiker bisher boshaft. Times-Kolumnist und Ex-Thatcher-Mitarbeiter Matthew Parris beschrieb Truss als eine „planetengroße Masse aus Selbstüberschätzung und Ambition mit einem stecknadelkopfgroßen politischen Hirn“. Und eine Ex-Minister-Kollegin ortete „erheblich mehr Ehrgeiz als Fähigkeit“.
So gilt Truss, wie Thatcher Mutter zweier Kinder, vielerorts als Platzhalterin. Die einen erwarten bei der nächsten Wahl einen Kantersieg der Labour Partei, die derzeit einen klaren Vorsprung in Umfragen hat. Andere sehen Truss als mögliches Opfer, sollte Johnson eine Rückkehr anvisieren.
"Gefährlich, sie zu unterschätzen"
Professor Tim Bale, Politologe an der Queen Mary Universität London, meint aber, sie könnte Skeptiker als, nach Theresa May, dritte Regierungschefin überraschen. „Es ist verlockend, aber gefährlich, sie zu unterschätzen“, sagt er dem KURIER. „Wer mit List und Klugheit an die Spitze gelangt, kann nicht als Leichtgewicht oder hoffnungsloser Ideologe abgetan werden“.
Truss diente David Cameron als Umweltministerin. May machte sie zur Justizministerin und dann zur Nummer 2 im Finanzministerium. Unter Johnson stieg sie vom Job als Außenhandelsministerin weiter auf. Dass sie sich so lange halten kann wie Thatcher, die 1979 – 1990 diente, länger als alle anderen britischen Premiers im 20. Jahrhundert, glaubt niemand. „Dass Truss ohne Unterbrechung unter drei sehr unterschiedlichen Premiers in verschiedenen Rollen gedient hat, deutet aber auf ein gewisses Maß an Pragmatismus und Flexibilität hin“, betont Bale.
Polit-Chamäleon
Tatsächlich hat sie sich immer wieder als Chamäleon bewiesen. So stimmte Truss für den EU-Verbleib, mutierte dann aber zum lautstarken Brexiteer. Zu den Tories wechselte sie von den Liberaldemokraten, wo sie als Teenager gegen die Monarchie wetterte. Wenn Truss wie erwartet Premier wird und Queen Elizabeth II. sie am Dienstag empfängt, schwingt also ein Hauch von Ironie mit.
Die Metamorphose, auf die Truss noch hofft, ist die vom Darling der Parteibasis, die Johnsons Nachfolge entscheidet, und rechtem Tory-Flügel zum Liebling der Massen. „Ich werde von der ersten Minute an eine Premierministerin für alle sein“, verspricht sie.
Eine jüngste Umfrage fand aber, dass Ex-Finanzminister Rishi Sunak bei britischen Wählern insgesamt populärer wäre. Die Basis erfreut Truss gerne mit Kampfansagen gegen EU und Wokeness. Auf die Frage, ob Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Freund oder Feind sei, meinte sie kürzlich: „Das Urteil steht noch aus“.
Als Premier muss Truss wohl auf breitere Botschaften und Taten setzen. Denn wegen steigender Energie- und anderer Preise droht ein Winter des Schreckens, der den Premier-Sessel zum Schleudersitz machen könnte.
„Ich sehe Truss nicht als langjährige Tory-Chefin oder Premier“, sagt Professor Pete Dorey, Politologe an der Universität Cardiff, dem KURIER. „Sie bietet aufgewärmten Thatcherismus zu einer Zeit, in der die Langzeitfolgen von Thatchers Neoliberalismus die Mittelschicht mit nach unten ziehen“. Wie andere Experten warnt er etwa vor Steuersenkungen, wie sie Truss verspricht, die die Inflation weiter anzukurbeln drohen.
Nach den Chaosjahren des Showmans Johnson könnten aber gerade ihr Tatendrang und Ehrgeiz Anklang finden. „Letztendlich wird viel mehr zählen, ob sie Geld aufbringt, das Leute durch einen sehr harten Winter bringt“, meint Bale.
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