von Georg Szalai, London
„Extrem peinlich“, eine Chaos-stiftende „menschliche Handgranate“, „ein Roboter, dem ein Teil fehlt“, „unfähig zum Wahlsieg“. So denken Kritiker aus der eigenen konservativen Tory-Partei über die britische Außenministerin Liz Truss.
Sie selbst stilisiert sich lieber als populistische Reinkarnation der Tory-Ikone Margaret Thatcher für das Influencer-Zeitalter. So ließ sie sich, wie einst ihr Vorbild, in einem Panzer fotografieren. Bei einer TV-Debatte trug sie kürzlich ein Blazer-Blusen-Ensemble, das als Hommage an die Eiserne Lady erkannt wurde. Mit dem Union Jack lässt sie sich ebenfalls gerne ablichten.
Auch deshalb ist die ehrgeizige, polarisierende Hardlinerin dem Partei-Thron und Premier-Amt zum Greifen nahe. Im Kampf um die Nachfolge von Boris Johnson liegt Truss laut Umfragen klar vor Gegner Rishi Sunak.
Denn in der Stichwahl entscheiden Parteimitglieder; sie sind mehrheitlich über 60. „Viele haben gute Erinnerungen an Thatcher“, erklärt Professor Pete Dorey, Politologe an der Universität Cardiff, dem KURIER. Auch ihr „fahnenschwenkender Enthusiasmus für Freiheit, Freihandel und einen kleinen Staat“ erinnere an die Iron Lady, meint die Financial Times.
Truss, die am Dienstag 47 wird, beschrieb sich in einem BBC-Interview als fleißige, „mutige“ Kandidatin für „Veränderung“. „Ich habe gezeigt, dass ich hart sein und Dinge erledigen kann“, meinte sie und verglich sich mit einem Bulldozer.
Im Showdown mit Sunak fordert die in Oxford geborene Tochter einer Krankenschwester und eines Mathe-Professors Steuersenkungen für die inflationsgeplagten Briten. Kritik, dies würde die Inflation nur anheizen, kontert sie, das Land brauche neue Ansätze.
Sie selbst ändere ihre ja oft genug, meinen Kritiker. Etwa weil sie früher Mitglied der Liberaldemokraten war und für den EU-Verbleib stimmte, jetzt aber oft scharfe Worte im Streit um den Brexit findet. „Ich lag falsch“, sagte sie der BBC. „Düstere Prophezeiungen traten nicht ein.“
Mit Kampfansagen gegen politische Korrektheit und EU ist die Oxford-Absolventin mit zwei Töchtern jedenfalls Darling des rechten Parteiflügels. Gegner belächeln sie als die zu ideologische, spaltende Anführerin einer „irren Randgruppe“.
Mit Mangel an Charisma und Eloquenz mache sie dem steifen Labour-Chef Keir Starmer Konkurrenz, giftete eine Kolumnistin. „Sie ist so hölzern, dass sie wie Meryl Streep und Tom Cruise vereint wirkt“.
Überflieger mit wenig Bodenhaftung
Mit der britischen Version des American Dream will Überflieger Rishi Sunak zum ersten nicht-weißen Premier werden. In der Parlamentsfraktion gewann er im Krieg um die Nachfolge von Boris Johnson die meisten Stimmen. Das Dumme ist nur: Bei der Parteibasis, die die Stichwahl entscheidet, stößt er auf wenig Gegenliebe. Laut Umfragen muss der Ex-Hedgefonds-Manager mit einer klaren Niederlage rechnen.
Dabei hatte es lange so gut für den detailorientierten Jungstar aus Southampton ausgesehen. Seine indischen Eltern, der Vater Arzt, die Mutter Apothekerin, wanderten aus Afrika ein und schickten ihren Ältesten auf eine Elite-Schule. Dann studierte er in Oxford und an der US-Elite-Uni Stanford. „Ich möchte, dass alle in diesem Land die gleichen Chancen haben, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen“, sagt der 42-Jährige.
Wie Truss will er weite Teile von Johnsons Kurs beibehalten, etwa strenge Migrations- und Brexit-Politik, gilt aber als Liberaler. Er ist „pragmatischer und wäre ein technokratischer Chef“, sagt Pete Dorey, Politologe an der Universität Cardiff, dem KURIER.
2020 wurde er Finanzminister. Er rangierte auch wegen seines Erfolgs mit dem Corona-Management lange als populärster Minister. Die Rivalität mit Johnson wuchs. Dass der Sonnyboy mit zwei Töchtern via Twitter ständig auch sich selbst promotete, ließ viele von der „Marke Rishi“ sprechen. Kritiker meinten immer öfter, Sunak sei ein hinterhältiger Streber.
Heuer nahm sein sorgsam gepflegter Ruf doppelt Schaden. In der „Partygate“-Affäre wurde ihm eine Geldstrafe aufgebrummt. Ebenso flog auf, dass seine Frau, Akshata Murthy, Tochter eines Gründers des IT-Riesen Infosys, dank eines umstrittenen Status Steuern in Millionenhöhe sparte. Das geschätzte Vermögen des Paares, 730 Mio. Pfund (857 Millionen Euro), und Sunaks Plan, wegen hoher Inflation die Steuerlast nicht vor Herbst 2023 zu senken, stößt da vor allem Johnson-Getreuen sauer auf. Sie sehen ihn als abgehobene „Schlange“. Sunak will Volksnähe demonstrieren. So erzählte er 2021, er beginne seinen Tag um 6 Uhr zu Britney Spears‘ Songs.
Ob er so Durchschnittsbriten für sich gewinnt, bezweifelt eine Kolumnistin des Telegraph. „Gerüchten zufolge zahlt er über 10.000 Pfund im Jahr für das Heizen des Swimmingpools in einer seiner vielen Residenzen.“
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