KURIER: Was werden Sie denn am Botschafterdasein vermissen?
Leigh Turner: Man merkt, dass man nicht mehr Botschafter ist, wenn man in der Früh ins Auto steigt und es fährt nicht einfach von selbst los. Im Ernst: Jetzt bin ich Otto Normalverbraucher, da wird das Leben anders. Jetzt muss ich mir den Respekt verdienen, etwa als Autor. Aber das gibt einem auch ein Gefühl von Freiheit, man kann sagen, was man denkt.
Was mögen sie denn so an Wien, dass sie bleiben?
Wien entwickelt sich ständig, nicht nur zum Positiven, so wie alle Großstädte. Die Stimmung ändert sich trotzdem wenig. Ich hoffe, dass Wien etwas von diesem Dunklen erhalten bleibt, dieses Abseitige, Schräge, auch der Grant und diese Selbstzufriedenheit. Es ist sehr wichtig, dass es nicht eine Großstadt wie jede andere wird. Ich tauche gerne in dieses Wien ein.
Gibt es Lieblingsplätze?
Der Zentralfriedhof, oder die Kaffeehäuser. Die Wiener Kaffeekultur ist voll von großartigen Plätzen. Nicht nur, aber als Botschafter erwähne ich natürlich nur das Positive. Als Autor könnte sich das ändern. Natürlich vermisse ich ein gutes Pint englisches Bier. Wien aber bietet eine hohe Lebensqualität – und ich habe so viele Leute kennengelernt aus der Kunst- und Kulturszene: Schriftsteller, Museumsdirektoren, Wien hat ein Super-Kulturleben.
Machen Sie sich Sorgen um Großbritannien? Ich habe mehrmals erlebt, dass man mein Land totgesagt hat, zum Beispiel 2000, als wir nicht dem Euro beigetreten sind. Da meinte man, die Londoner City wird an Bedeutung verlieren, das Gegenteil war der Fall. London bleibt die Finanzhauptstadt der Welt.
Verändert der Brexit ihre alte Heimat? Die Sachen, die Großbritannien erfolgreich und interessant machen, sind geblieben: Der Charakter der Menschen, die Weltoffenheit, die wirtschaftliche Fantasie, das Bildungssystem, die Wissenschaft… Aus London wird nie ein „little England“. In Großbritannien ist es viel leichter Staatsbürger zu werden als in anderen Ländern. Es gibt diese Fremdenfeindlichkeit, aber nicht mehr als anderswo.
Ist Großbritannien also anders als der Rest Europas? Ich finde es wunderbar, dass unterschiedliche Länder unterschiedliche Systeme entwickeln, das ist eine der Herausforderungen für die EU. Es gibt ja viele in der EU, die meinen, dass eine Harmonisierung gut für Europa ist. Sie haben nicht immer recht. In Großbritannien etwa war man immer überzeugt, dass Konkurrenz Lösungen fördert. Ich hoffe, dass die Globalisierung nicht so weit geht, dass sich Großbritannien und Österreich nicht mehr unterscheiden. Ich freue mich nämlich, dass ein Würstel an einem Wiener Würstelstand ganz anders schmeckt als ein Würstel in London. Ich freue mich auch über einen Straßenbahnfahrer, der die Tür fünf Sekunden länger offen hält, damit ich einsteigen kann. Das passiert in London nicht so oft…und viele andere Unterschiede. Also, es lebe die Differenz.
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