Wie mitten im Dschungel eine Retorten-Hauptstadt aus dem Boden gestampft wird
Weil die alte Kapitale Jakarta buchstäblich versinkt, wird auf der riesigen Insel Borneo eine neue auf dem Reißbrett geplant. Grün und "smart" soll sie sein und teilweise schon 2024 bezugsfertig.
Am 14. März des Vorjahres kam die höchste Polit-Prominenz mitten in den Dschungel der indonesischen Insel Borneo. Angeführt von Staatspräsident Joko Widodo, den alle bloß „Jokowi“ nennen, brachten alle Gouverneure Erde und Wasser aus ihren jeweiligen Provinzen und deponierten dies beim „Titik Nol“, dem Nullpunkt der geplanten neuen Hauptstadt Indonesiens – als Zeichen der Diversität und Einheit. Nusantara wird die Kapitale heißen, die Jakarta als solche ablösen soll.
Und erste Teile, darunter der Präsidentenpalast, sollen schon 2024 fertiggestellt, das gesamte Giga-Projekt bis 2045 abgeschlossen sein. Ein Budget von 34 Milliarden US-Dollar wurde bereits bewilligt, an die fünf Millionen Jobs sollen durch den Bau entstehen.
Die grünste, nachhaltigste und smarteste Hauptstadt wird Nusantara, wenn es nach den Planern geht. Aktuell freilich haben Bagger und Kettensägen das Sagen, es wird gerodet, um das Terrain für die auf 256.100 Hektar angelegte Metropole zu bereiten.
Die Fläche ist damit sechs Mal so groß wie die von Wien. Auf ihr sollen mit rund zwei Millionen Einwohnern im Endausbau gleich viele wie in der österreichischen Hauptstadt leben.
75 Prozent begrünt
Drei Viertel des neuen Verwaltungszentrums des mit 275 Millionen Menschen größten muslimischen Landes der Welt sollen begrünt werden. Die Energie soll aus erneuerbaren Quellen kommen, erlaubt sollen ausschließlich Elektrofahrzeuge sein. Und alle Hauptstädter, seien es Private oder Unternehmen, sollen zu 100 Prozent digital vernetzt sein.
„Alle künftigen Einwohner sollen die wichtigsten Anlaufpunkte, also Arbeitsstelle, Schule, Supermarkt oder Arzt, zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb von fünf bis zehn Minuten erreichen können“, beschreibt die beratende Architektin Dyah Fatma eine weitere Zielvorgabe.
Doch es ist nicht alles grün, was in den Prospekten glänzt, wie Kritiker anmerken. Stichwort erneuerbare Energie: Aktuell gibt es in der Region (noch) keine derartigen Anlagen, der Strom aus der Steckdose wird wohl zum Großteil aus fossilen Quellen kommen, aus denen Indonesien gegenwärtig 94 Prozent seines Primärenergiebedarfes deckt. Stichwort Menschenrechte: Die indigene Bevölkerung der Region, die häufig keine Eigentumstitel für ihre agrarischen Nutzflächen hat, befürchtet Vertreibung.
Stichwort Artenschutz: Aktivisten warnen vor einem weiteren Zurückdrängen der in der Gegend ansässigen Orang-Utans, die in freier Wildbahn nur noch dort und auf der indonesischen Insel Sumatra anzutreffen sind.
Präsidenten-Denkmal?
Pläne, die Hauptstadt zu verlegen, gab es bereits unter dem ersten Präsidenten Sukarno (1945–1967). Doch letztlich blieb es „Jokowi“ vorbehalten, das Projekt tatsächlich zu starten – nicht von ungefähr, wie manche meinen: Da seine Amtszeit 2024 ausläuft und er nicht mehr kandidieren darf, wolle er sich noch schnell ein Denkmal setzen, so Kritiker.
Wie auch immer, es werden in Indonesien (17.000 Inseln) vor allem zwei Argumente ins Treffen geführt, eine neue Kapitale fernab der alten aus dem Boden zu stampfen. Das eine ist primär ein ökonomisches: Die fünf Provinzen auf Borneo, das doppelt so groß wie Deutschland ist, tragen lediglich zehn Prozent zum indonesischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei.
Mit Nusantara als Hauptstadt soll die Region einen Aufschwung erleben und das wirtschaftliche Gefälle zur Insel Java mit Jakarta, deren BIP-Anteil bei 60 Prozent liegt, reduzieren.
Das zweite Argument für die Neugründung ist ein existenzielles. Denn der Moloch Jakarta – zehn Millionen Menschen in der City, 34 Millionen im Großraum – versinkt buchstäblich: Weil die Bevölkerung unterirdische Grundwasserreservoirs anzapft, senkt sich der Boden vor allem im Norden um mehr als zehn Zentimeter pro Jahr ab.
Manche Gebäude sacken jährlich sogar einen Viertelmeter ab. Schon jetzt liegt die Hälfte der Stadt unterhalb des Meeresspiegels, bis 2030 könnten es 80 Prozent sein. Und trotz des Baus einer gigantischen Mauer dürfte wohl ein Viertel der Metropole bis 2050 in den Fluten versinken – nicht zuletzt auch durch den Klimawandel.
Smog, Müll, Staus
Zudem ist Jakarta ein urbaner Horror der Sonderklasse: Smog, Müllberge und ein überbordender Verkehr setzen den Einwohnern zu. Zehn Jahre seines Lebens verbringt ein Mensch, der in der Hauptstadt geboren wird und dort auch stirbt, durchschnittlich im Stau, so hat es der indonesische Autor und Journalist Seno Gumira Ajidarma einmal vorgerechnet.
Zehn Jahre – das ist auch der Rahmen, den sich die jetzige Administration gesetzt hat. Danach, ab 2034, sollen die Regierungsgeschäfte komplett aus Nusantara geführt werden.
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