Der Präsident und sein Vertrauter dehnen die Machtbefugnisse des Weißen Hauses immer weiter aus und schüchtern die Justiz ein. Fällt der Supreme Court ihnen in die Arme?
„Es gibt Momente in der Weltgeschichte, in denen die Menschen zurückblicken und fragen: Wo waren die Anwälte? Wo waren die Richter?”
Als John Coughenour, Bezirksrichter aus Seattle im äußersten Nordwesten der USA, mit diesen Worten eine der bisher heikelsten Anordnungen von US-Präsident Donald Trump (das Aus für die Staatsbürgerschaft qua Geburt) vorläufig außer Kraft setzte, brach in seinem Gerichtssaal lautstarker Beifall aus.
Coughenour, vom republikanischen Präsidenten-Idol Ronald Reagan berufen, zitierte ausführlich die von Trump missachteten Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Danach war der autokratische Alleingang des 47. Präsidenten verfassungswidrig. Coughenour ist kein Einzelfall.
Der 83-Jährige Bezirksrichter John Coughenour war der erste, der Trumps Vorhaben, das Recht auf Staatsbürgerschaft durch Geburt auszusetzen, auf Bezirksebene aufhob.
Etliche Richter unterer Instanzen haben in Trumps ersten drei Amtswochen Stoppschilder gegen das Bestreben der Regierung aufgestellt, die US-Demokratie im Eiltempo umzukrempeln und dabei die Gewaltenteilung zwischen Präsident, Parlament und Justiz de facto aufzuheben.
Trump, angetrieben von seinem einflussreichsten Berater Elon Musk, der gerade dabei ist, im Schweinsgalopp den Staatsapparat zu schrumpfen, zehntausende Beamte zu entlassen und ganze Ministerien (demnächst das für Bildung) abzuwickeln, empfinden die Intervention der Gerichte als Majestätsbeleidigung.
Musks DOGE-Behörde wurde der Zugriff auf Daten des Finanzministeriums untersagt
So verlangte Musk öffentlich die sofortige Amtsenthebung des Bundesrichters Paul Engelmayer. Er hatte Musks Team einstweilig den Zugang zu sensiblen Daten von Millionen Amerikanern untersagt, die in Computer-Systemen des Finanzministeriums verwaltet werden.
Trump drückte seinen Unmut über die Entscheidung mit seinem Lieblingswort aus: „Schande.” Sein Vize-Präsident JD Vance wurde so grundsätzlich wie nie zuvor: „Richter dürfen die legitime Macht der Exekutive nicht kontrollieren”, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Laut Verfassungsrechtlern eine „eklatante Geringschätzung” der vor mehr als 200 Jahren entwickelten Gewaltenteilung, die genau das Gegenteil verfügt habe.
John McConnell, Richter in Rhode Island, wurde das Verhalten des Präsidenten zu bunt. Am Montag gab er Trump vor, „eingefrorene Finanzmittel unverzüglich wieder freizugeben“ und sich an eine bereits Ende Januar ergangene Anweisung zu halten - andernfalls setze es Konsequenzen.
"Trump fordert, dass sich Gerichte nicht mehr einmischen"
Ein ehemaliger US-Botschafter demokratischer Vorgänger-Regierungen interpretiert den Vorgang im Gespräch mit dem KURIER so: „Trump beansprucht im Stile päpstlicher Unfehlbarkeit, dass sich die Gerichte nicht mehr einmischen.” Das sei ein "beispielloser Affront".
„In früheren Zeiten wäre der Kongress gegen so ein Allmachtsgebaren auf die Barrikaden gegangen und hätte sein vornehmstes Recht - die Hoheit über die Staatsausgaben - eingeklagt”, fügte der frühere Diplomat hinzu. Heute sei die Lage so, dass die Republikaner sich entschieden hätten, trotz knapper Mehrheiten „Trump willfährig zu bejubeln und sich als verlängerter Arm der Regierung anzudienen, auch wenn er sie gnadenlos übergeht und blinde Gefolgschaft einfordert.”
Budget soll rückwirkend entzogen werden können
So gab es keinen Aufschrei der konservativen Abgeordneten, als Trump und seine Mitstreiter bereits in der Vergangenheit vom Parlament bewilligte Ausgaben (etwa für Entwicklungshilfe) auf Eis legen wollten. Trumps neuer Budget-Direktor Russell Vought bekannte sich öffentlich dazu, Gelder auch rückwirkend zu beschlagnahmen, wenn sie für Zwecke bestimmt sind, die der ideologischen Stoßrichtung Trumps widersprechen.
Weil Richter in den vergangenen Tagen auch vorübergehend verhindert haben, dass die Regierung Bundeszuschüsse in Milliarden-Höhe einfriert, Dutzende Generalinspektoren in wichtige Ministerien entlässt, Amerikas Entwicklungshilfe-Agentur komplett auflöst und Tausende Bundesangestellte mit fragwürdigen Abfindungsangeboten aus dem Arbeitsleben drängt, halten Experten einen Showdown vor dem Obersten Gerichtshof für programmiert.
Das Höchstgericht der Vereinigten Staaten: Der US Supreme Court in Washington, D. C.
Dort verfügt Trump über eine stabile 6:3-Mehrheit konservativer Juristen, die ihm bereits weitgehende Immunität vor Strafverfolgung zugestanden hatten. Mindestens vier Vertretern (Thomas, Gorsuch, Alito und Kavanaugh) werden Sympathien für eine umstrittene Rechtsauslegung nachgesagt, die auf eine schier unbegrenzte Machtfülle des Präsidenten hinausliefe.
Die „Theorie der einheitlichen Exekutive“ stellt fest, dass die alleinige Exekutivgewalt im Weißen Haus liegt. Trump könne demnach in eigenem Ermessen Einstellungen und Entlassungen vornehmen, den Regierungsapparat neu strukturieren - ohne das Plazet des Kongresses einholen zu müssen. Und das, wann immer es ihm beliebt.
Welche Behörde landet als nächste unter dem Messer?
So betrachtet könnten in den nächsten Wochen relevante Regierungsteile wie etwa das Bildungsministerium oder das „Büro für finanziellen Verbraucherschutz” über Nacht geschrottet werden. Bis Gerichte letztinstanzlich entscheiden, wäre der entstandene Schaden irreparabel.
Selbst langjährigen Trump-Fans wie dem Wirtschaftsberater Stephen Moore wird bei dem Vorgehen mulmig. „Wir bewegen uns auf eine imperiale Präsidentschaft zu. Ob das gut ist oder nicht, bleibt abzuwarten.“ Seine Sorge insgeheim: Trumps könnte versucht sein, sich selbst über ein Urteil des höchsten Gerichts hinwegsetzen.
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