„Sie haben ihn mitgenommen, in aller Frühe“, sagt Johnson Yeung, ein Freund von Joshua Wong, zum KURIER. Wong, mit seinen 22 Jahren ein Veteran der Hongkonger Regenschirm-Proteste vor fünf Jahren, wurde Freitagfrüh von der Hongkonger Polizei verhaftet - wenige Stunden vor einem geplanten Interview mit dem KURIER. Der Vorwurf: Organisation und Ausführung einer illegalen Versammlung.
Neben Wong verhaftete die Polizei auch dessen gleichaltrige Mitstreiterin Agnes Chow - einen Tag vor einer erneuten geplanten Großdemonstration gegen die Hongkonger Regierung und das chinesische Regime in Peking. Wie auch Wong kam Chow nach einigen Stunden gegen Kaution frei.
Später bestätigte die Polizei die Festnahme eines der Demokratiebewegung nahestehenden Parlamentariers. Cheng Chung Tai - dem bislang einzigen verhafteten Abgeordneten - werde „Verschwörung“ vorgeworfen, hieß es.
Im Café, in dem Johnson sitzt, ist nichts von all der Spannung zu merken, ein Paar flirtet am Tisch nebenan, zwei Männer in Anzügen nehmen ihren Frühstückskaffee.
Dass Johnson ein Aktivist der ersten Stunde ist, sieht man ihm nicht an: Schmal, Brille, auf seinem grünen T-Shirt ist ein Bär abgebildet, auf dem „Hug“ (Umarmung) geschrieben steht. Doch in seinen Augen lodert eiserne Entschlossenheit: „Morgen werden es viele sein“, ist Johnson überzeugt.
Mit mehr als einer Million Menschen wollten die Organisatoren der „Civil Human Rights Front“ zum Chinesischen Verbindungsbüro in Hongkong marschieren und ihrem Ärger gegen die Pekinger Regierung Luft machen, die Polizei verbot den Marsch.
Nach den Verhaftungen sagten die Organisatoren die Demonstration ganz ab. Das heißt jedoch nicht, dass keine Proteste stattfinden werden.
„Die Wut der Menschen ist groß, vor allem nach den Verhaftungen. Und da definitiv mit Ausschreitungen gerechnet wird, wollen die Organisatoren nicht dafür verantwortlich gemacht werden“, sagt eine Aktivistin.
Auch Johnson ist sich sicher, dass es am Samstag heiß hergehen wird: „Die Polizei wird hart agieren, denn sie hat keinen Ruf mehr zu verlieren. Wenn sie jetzt nachgeben, wenn die Stadtregierung nachgibt, wird es zu Untersuchungen verschiedener Gewalttaten kommen. Das können sie sich nicht leisten“, ist er überzeugt.
1400 zusätzliche Gefängnisbetten
Die seit drei Monaten andauernden Proteste sind vergangenes Wochenende eskaliert – erstmals gab ein Polizist einen Warnschuss ab, nachdem ihn gewalttätige Demonstranten ihn und seine Einsatzgruppe in die Enge getrieben hatten.
Sollten die Verhaftungen am Freitag als Einschüchterung gedacht gewesen sein, hat das bei Johnson keine Früchte getragen: „Ebenso können wir nicht mehr aufgeben, denn wenn, verhaften sie mindestens tausend von uns.“ Derzeit sind nur 70 Prozent der Gefängnisplätze belegt, doch Hongkong legt nach: 1400 zusätzliche Gefängnisbetten hat die Stadtregierung angefordert, „man braucht sich nicht zu fragen, für wen die reserviert sind“, sagt Johnson.
Dreizehn Wochen dauern die Proteste bereits an, eine Lösung ist nicht in Sicht. Der ursprüngliche Grund für die Demonstrationen ist das umstrittene Auslieferungsgesetz, das es Hongkong möglich machen würde, Menschen an Peking auszuliefern. Obwohl Regierungschefin Carrie Lam kurz nach den ersten Großdemonstrationen verkündete, das Gesetz sei tot, sind die Aktivisten nicht zufrieden. „Es ist nicht tot, wie Carrie Lam sagt. In unserem Rechtssystem gibt es nur zwei Möglichkeiten: das Gesetz zurückzuziehen oder es umzusetzen. Sie hat es nicht offiziell zurückgezogen“.
Lam muss einen schwierigen Spagat zwischen der Bevölkerung und Peking schaffen, doch dieser scheint ihr auf beiden Seiten zu misslingen. Das Vertrauen der Bürger in ihre Person ist auf historischem Tiefstand, 70 Prozent der Hongkonger unterstützen die Protestler. „In jedem demokratischen Land der Welt hätte die Regierung zurücktreten müssen“, sagt Johnson.
Druck auf Unternehmen
Auf der anderen Seite übt China mittlerweile Druck auf die mächtigen Hongkonger Unternehmen aus und weist sie an, jene Angestellten zu entlassen, die sich mit den Protesten solidarisch zeigen. „Da genügt es, ein regierungskritisches Posting im Internet zu teilen“, meint Johnson.
Doch nicht nur in den großen Unternehmen müssen Menschen um ihre Arbeit fürchten. Durch die Proteste steckt vor allem der Tourismussektor in einer massiven Krise. Weil sich Festlandchinesen nicht mehr nach Hongkong trauen, bleiben kleinere Lokale leer.
Sowohl Kellner, als auch Hotelbedienstete werden von ihren Arbeitgebern auf unbezahlten Urlaub geschickt. Bei einem Mindestlohn von vier Dollar pro Stunde und hohen Mietpreisen werden die Proteste für einige eine Frage der Existenz.
Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, meint Johnson: „Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal, auch dagegen demonstrieren wir. Wir wollen, dass sich mehr ändert.“
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