Die unbekannte Machtmaschine

Die unbekannte Machtmaschine
Die Abgeordneten haben viel für Europas Bürger erreicht. Etliche Baustellen bleiben.

Was hab’ ich eigentlich vom Europäischen Parlament?", fragen sich kurz vor der Wahl viele Bürger.

Die Frage ist berechtigt. Das Wissen um den Einfluss der europäischen Volksvertreter ist noch immer gering ausgeprägt, obwohl Österreich seit 1995 Mitglied der EU ist. Die Bilanz der Abgeordneten lässt sich jetzt, am Ende dieser Legislaturperiode (2009 bis 2014), sehen und bewerten. Darunter waren Entscheidungen, von denen viele Menschen profitieren.

Eine kleine Auswahl der insgesamt 952 beschlossenen Gesetze zeigt, was EU-Abgeordnete, darunter auch die meisten österreichischen Parlamentarier, durchgesetzt haben: In Erinnerung bleibt die Abschaffung der Roaming-Gebühren im Ausland bis 2015 sowie die Neutralität im Netz. Damit wurde der Versuch abgeschmettert, Facebook, Google oder Telekomfirmen gegen Bezahlung Premiumdienste im Netz zu erlauben.

Oder: 2012 wurde der umstrittene Vertrag der EU-Kommission über Acta abgelehnt. Der Zweck wäre gewesen, den Konzernen Schutzrechte für geistiges Eigentum zu garantieren und gegen Verletzungen des Urheberrechts und der Piraterie im Internet vorzugehen. Das Parlament stellte sich auf die Seite der Online-Community.

Vielfalt an Saatgut

Mit großer Mehrheit wurde im März auch die Saatgut-Verordnung der EU-Kommission zurückgewiesen, die vorgeschrieben hätte, alte Obst- und Gemüsesorten zu registrieren und traditionelles Saatgut nicht auszutauschen. Profitiert hätten davon große Agrarkonzerne, die Vielfalt an Produkten wäre eingeschränkt worden bzw. verloren gegangen.

Kaum ein Lebensbereich ist nicht betroffen: Erkämpft wurden mehr Rechte für Reisende. Fluggäste, die festsitzen oder deren Flüge verspätet sind, sollen Entschädigung erhalten. Das gilt auch für Bahn-, Bus- und Schiffsreisende. Ausgebaut wurde auf Druck der Parlamentarier auch das Studentenaustausch-Programm Erasmus. Das Programm "Erasmus plus" umfasst alle Schüler-, Lehrlings- und Sportler-Austauschprogramme. Oder bessere Umweltschutz- und Lebensmittelstandards sowie genauere Kennzeichnungspflichten bei Nahrungsmitteln.

Neben dieser langen Liste positiver Beschlüsse bleibt für die neu gewählten Abgeordneten aber noch viel zu tun: Undurchsichtig ist etwa das Spesen-System (siehe Grafik). Viele Bürger wollen Licht ins Dunkel der Zulagen bringen, der günstige EU-Steuersatz für die Gehälter der Europa-Abgeordnete wird als unfaires Privileg gesehen.

Initiativrecht

Wenig verständlich ist für viele Bürger auch das Procedere der Gesetzgebung, die gemeinsam mit dem Rat erfolgt. Das Recht, Gesetzesinitiativen einzubringen, hat das Parlament nicht. Der EU-Vertrag sieht dieses Recht nicht vor. Allerdings haben die Abgeordneten mit dem Vertrag von Lissabon zusätzliche Befugnisse bekommen. So mächtig wie das Parlament heute ist, war es deshalb noch nie.

Als Geldverschwendung werden hingegen die beiden Sitze des Parlaments in Brüssel und Straßburg gesehen. Der Wanderzirkus belastet den EU-Steuerzahler.

Wegen des vorhandenen Informationsdefizits über Macht und Ohnmacht des EU-Parlaments sollte die Informationspolitik der EU-Abgeordneten und der Parteien, die im Wahlkampf sehr intensiv ist, nun fortgeführt werden, sagen Meinungsforscher. Nur durch eine ständige Kommunikation mit den Bürgern könne der Wert und Gehalt von EU-Entscheidungen vermittelt werden – wie das zuletzt beim Streitfall um das EU-Budget für die Jahre 2014 bis 2020 der Fall war.

Die Staats- und Regierungschefs wollten massiv sparen, die Abgeordneten haben mehr Geld zur Bekämpfung der EU-Arbeitslosigkeit herausgeholt und gedroht: "Wenn wir das nicht bekommen, stimmen wir dem Haushalt gar nicht zu." 910 Milliarden Euro war der Vorschlag, das Parlament erreichte 960 Milliarden Euro.

Das Beispiel zeigt: Wenn die Abgeordneten Ergebnisse für "ihre" EU-Bürger erreichen wollen, werden sie sich auch weiterhin mit der Kommission und den 28 Regierungen matchen müssen.

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