Die Ukraine ist auf dem besten Weg zur Agrar-Supermacht

Die Ukraine ist auf dem besten Weg zur Agrar-Supermacht
In der Kornkammer Europas ist seit Juli der Handel mit Landwirtschaftsflächen erlaubt. Das Potenzial ist enorm.

Aus der Ukraine, Daniela Prugger

Weltweit gibt es nur noch wenige Länder, in denen man keinen Handel mit Ackerland und Boden betreiben kann: Nordkorea, Tadschikistan, Venezuela, Kuba gehören dazu, und bis vor Kurzem auch die Ukraine. Seit Erlangen der Unabhängigkeit im Jahr 1991, als die Regierung landwirtschaftliche Flächen an Kleinbauern verteilte, konnten ukrainische Bauern ihr Land nur privat nutzen oder an Agrarunternehmen verpachten.

Mit 1. Juli 2021 hat das Land ein neues Kapitel aufgeschlagen. Ein Jahr nachdem die ukrainischen Gesetzgeber ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hatten, wurde das Verkaufsverbot aufgehoben. Die Reform war eine der Voraussetzungen für den Krediterhalt des Internationalen Währungsfonds (IWF).

„Nicht nur für die Ukraine ist das ein historischer Moment, sondern für die ganze Welt“, sagt Oleg Nivievskyi, Agrarexperte und Forscher an der Kyiv School of Economics. Die sogenannte Kornkammer Europas, bekannt für ihre besonders fruchtbare Erde, ist flächenmäßig das größte Land Europas nach Russland.

Zwar zählt die Ukraine bereits jetzt zu den größten Agrarproduzenten und -exporteuren der Welt – etwa für Sonnenblumen, Mais, Weizen, Raps, Gerste, Sojabohnen und Bio-Gemüse. Doch die Erträge der Landwirtschaft sind vergleichsweise gering, erklärt Nivievskyi. Die Ukraine verfügt über 42 Millionen Hektar Ackerland, von denen etwa drei Viertel jährlich bewirtschaftet werden. Knapp 20 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung arbeiten im Agrarsektor.

„Mit der Reform tun sich für die Ukraine neue Möglichkeiten auf. Wir haben die Chance, unsere Produktivität zu steigern und mehr wirtschaftliche Kontrolle zu erhalten“, sagt Nivievskyi.

Spielwiese für Oligarchen?

Ukrainische Bürger können nun bis zu 100 Hektar kaufen, Agrarunternehmen dürfen ab 2024 an Auktionen teilnehmen und bis zu 10.000 Hektar erwerben. In einem Referendum soll darüber abgestimmt werden, ob künftig auch Ausländern und ihren Unternehmen der Zugang erlaubt werden soll. Die Öffnung bleibt in der Ukraine nicht unumstritten. Gegner befürchten, dass Oligarchen die Landwirtschaft dominieren werden, so wie es etwa in Ungarn der Fall ist. Und sie befürchten, dass Ausländer die Kleinbauern verdrängen werden und infolgedessen die Landflucht zunimmt.

Befürworter der Reform, wie Nivievskyi, sind anderer Meinung: „Große Agrarunternehmen bewirtschaften etwa sechs Millionen Hektar, während kleine und mittlere Unternehmen weitere elf Millionen bewirtschaften. Eine Akkumulation hat in den letzten 20 Jahren nicht stattgefunden, ich habe deshalb keinen Grund zur Annahme, dass es nun passieren wird.“

Roman Leshchenko, der Minister für Agrarpolitik, geht sogar davon aus, dass die Ukraine bald den Status einer landwirtschaftlichen Supermacht erhalten wird. „Die ukrainische Landreform war dringend erforderlich“, schreibt der Minister in einem Beitrag für Atlantic Council. „Ich kann sagen, dass jeder, der Reformen in der Ukraine anstrebt, auf Widerstand stößt. Dennoch glaube ich, dass nur so gemeinsamer Wohlstand erreicht und das enorme ungenutzte Potenzial freigesetzt werden kann.“

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