China: Die Seidenstraße bleibt eine Einbahn

China: Die Seidenstraße bleibt eine Einbahn
VdB und Kurz in Peking. Verträge für 1,5 Milliarden Euro im Reisegepäck. In der Kardinalfrage heißt es: Schau’ ma mal.

Die Vision der neuen Weltordnung, die Chinas Präsiden n Xi Jinping prägen will, hat mehrere Gesichter: Da ist zum einen das Projekt „Belt and Road“, romantisch als Wiederbelebung der früheren Handelswege auf der Seidenstraße verpackt. Seit fünf Jahren treibt China diese Expansionsstrategie unaufgeregt aber beinhart voran.

Die Autobahnen etwas, auf denen sich Touristen vom Flughafen in Colombo zu ihren Ayurvedakuren fahren lassen, hat China gebaut. In Griechenland investiert es in Häfen, auf dem Balkan in Müll-Recycling. Alles komfortabel (vor)finanziert von chinesischen Banken. Wenn ein Zahlungsausfall droht, kein Problem. China wandelt das offene Obligo in Eigentum um.

Das ist zum anderen der 1,4 Milliarden-Markt China, der Firmen aus aller Welt anzieht. Für den deutschen VW-Konzern etwa ist das Reich der Mitte längst wichtigster Markt. Staatsdelegationen geben sich so bei Xi die Klinke in die Hand. Denn ohne Segen von oben läuft im Staatskapitalismus nichts.

Most handsome

Sebastian Kurz ist Sonntag früh rechtzeitig eingetroffen, um am Tag 2 der Mega-Visite als Kanzler gemeinsam mit dem Staatsoberhaupt vor Ort Flagge zu zeigen. Der von Kammerchef Christoph Leitl als „most handsome “ (= “attraktivste “) avisierte Regierungschef ist auch einer der Eröffnungsredner des Wirtschaftsforums: Die fast 200-köpfige Managerdelegation präsentiert sich möglichen neuen Geschäftspartnern oder erneuert alte Kontakte.

Zufriedene erste Bilanz von Präsident und Kanzler: Im Vorfeld seien unterschriftsreife Neuabschlüsse in Sachen Handel von einer Milliarde und ein Plus bei Direkt-Investitionen Chinas in Österreich von einer weiteren Milliarde Euro vereinbart worden.

Aus europäischer Sicht sieht die Bilanz der nachhaltigen Geschäfte zwischen China und Europa aber dramatisch anders aus: Peking hat sich aktuell mit fast 70 Milliarden im alten Kontinent eingekauft. Die von der chinesischen Planwirtschaft zugelassenen Investments europäischer Unternehmen in China machen nur ein Zehntel davon aus. Wer in diese Rechnung einbezieht, dass man aufgrund der Bevölkerungszahlen erst dann von Parität sprechen könnten, wenn Europa vier mal soviel in China investieren würde wie umgekehrt, für den wird noch plastischer: China als Reich der Mitte ist keine leere Floskel. China hat sich zur Mitte der Welt hochgearbeitet, an der bald niemand vorbei kommt ohne sich mit Peking zu arrangieren.

China ist derzeit der spannendste Platz der Welt“, sagt der scheidende Wirtschaftskammer-Boss Leitl: „China soll auch in Europa investieren so viel es kann und will. Dann muss es aber auch uns erlaubt sein zu fordern, dass gewisse Sektoren in China für Europäer nicht weiter von Investitionen ausgenommen sind.“

Verführerische Rufe

Leitls Weckruf geht weit über Österreich hinaus: „Amerika tritt als Weltmacht Nummer 1 ab, China tritt an. Europa muss seinen Stellenwert dringend neu definieren, will es nicht zwischen den neuen globalen Blockbildungen aufgerieben werden.” Das ist noch Poesie. Die realpolitische Prosa paraphieren unter huldvoller Aufsicht der beiden Staatspräsidenten Infrastrukturminister Norbert Hofer und sein chinesischer Kollege Sonntag Abend in der Großen Halle des Volkes.

Nach einem Empfang mit militärischen Pomp, Kinderchor, Staatshymnen und als Zugabe den Radetzkymarsch, steht vor dem Staatsbankett die Unterzeichnung von elf bilateralen Verträgen und freundlichen Absichtserklärungen („Memorandum of understanding“) an.

Butterweiche Zusagen

Das von den Chinesen im Vorfeld dringend gewünschte Herzstück liegt nicht unterschriftsreif am Tisch: Peking drängte massiv darauf, dass sich Österreich in die Reihe jener Länder einreiht, die sich ohne Segen aus Brüssel mit China regelmäßig an einen Tisch setzen – im sogenannten 16+1 Klub. Elf östliche EU-Staaten, allen voran Ungarn, und fünf Länder des Balkans sind der nicht uneigennützigen Einladung bereits erlegen: China lockt am Weg zum Endausbau der Seidenstraße quer durch Europa mit großzügig finanzierten Projekten wie dem hochmodernen Bahnausbau zwischen Belgrad und Brüssel. Es baut damit nicht nur Überkapazitäten seiner Industrie ab, es schafft für finanziell klamme Staaten auch neue Abhängigkeiten.

Was romantisch als Beitrag zur Wiederbelebung der alten Seidenstraße verkauft wird, ist in Wahrheit ein Nadelstich zur Spaltung der EU. Die türkis-blaue Regierungsriege versucht mit einer butterweichen Absichtserklärung nicht zwischen die Fronten von Peking und Brüssel zu geraten. „Im Wissen der Bedeutung der Seidenstraßen-Initiative soll auf Basis bereits bestehender bilateraler Vereinbarungen die Kooperation fortgesetzt und gefördert werden.“ Zum von China dringend gewünschten nächsten Station der „Seidenstraße“ gibt es ein sehr österreichisches Jein: „Auch die Erweiterung der Bahnstrecke Belgrad-Budapest bis nach Wien (...) soll diskutiert werden.“

Erwarten und andeuten

Die Kardinalfrage, die hinter dem Lavieren steckt, ist offen: Bleibt die Seidenstraße eine Einbahn, auf der nur China seiner Vormachtstellung ausbauen kann? Van der Bellen und Kurz haben die hoch sensible Frage bei Xi Jinping angesprochen. „Wir erwarten uns eine Marktöffnung. Wir sind froh, dass angedeutet wurde, diese kommt schrittweise”, so der Kanzler.

Bilanz am Tag 2 der China-Visite: Eine größere Ausbeute wäre politisch auch von einer noch größeren Delegation eines Landes, das zweimal in jede größere chinesische Stadt passt, nicht zu erwarten.

ORF-Korrespondent Josef Dollinger aus Peking

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