Seit der Westen Russland wegen seines Angriffskrieges auf die Ukraine sanktioniert, hat Putin nur eine Devise ausgegeben: Russland ist stark, Russland lässt sich nicht kleinkriegen durch den „Wirtschafts-Blitzkrieg“ des Westens, wie er ihn nennt. Nein, es werde sogar stärker, sagt er – und das ist im repressiven Russland keine Werbung für die seine Politik, sondern eine Order.
Um sichtbare Zeichen einer Flaute zu eliminieren, wurden internationale Ketten, die sich aus Russland zurückzogen haben, kurzerhand enteignet und durch russische Klone ersetzt; fehlende Komponenten, die der Westen nicht mehr liefert, beziehe man aus Asien, so der Kreml.
Alles bestens also in Moskau? Mitnichten, denn die Erzählung stimmt nur zum Teil. Im Westen nährt sie zwar Zweifel an den Sanktionen, die sich immer mehr zum Bumerang entwickeln, doch Experten sind sich sicher: „Die Strafmaßnahmen wirken“, sagt Mario Holzner vom Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche.
Der Abschwung sei zwar nicht so massiv ist wie anfangs vom Westen gehofft – die Zentralbank hat etwa mit der Kopplung des Rubel an den Ölpreis klug vorgesorgt, zudem verfügt Moskau über massive Reserven und eine sehr geringe Staatsverschuldung. Dennoch nehme Russlands Wirtschaft gerade eine „sehr schmerzhafte Entwicklung“, und das sowohl mittel- als auch langfristig“. Er nimmt ein BIP-Minus von sieben Prozent wird als Minimum an.
Zu spüren bekommen das vor allem die Ärmsten im Land. Die Preise für Gemüse sind um bis zu 70, der für Zucker um 50 Prozent gestiegen; die gefühlte Inflation liegt bei 25 Prozent, berichtet der Moskauer Ökonom Wladislaw Inosemzew. Dazu kommt, dass die Realeinkommen seit der Krim-Annexion schon massiv sinken, auch die Arbeitslosenrate werde demnächst steigen. Viele westliche Unternehmen haben ihre Mitarbeiter noch einige Monate bezahlt, demnächst stehen sie aber auf der Straße.
Besonders sichtbar ist das am Automarkt. Alle russischen Autofabriken haben wegen fehlender Komponenten aus dem Westen geschlossen, die Autoverkäufe sind im Mai um 97 Prozent zurückgegangen. Auch der Markt für Ersatzteile hat sich zu einem Tummelplatz für Banditen entwickelt, die Preise haben sich verzehnfacht.
Das versucht der Kreml zu kompensieren und zu kaschieren: Auf russischen Straßen sollen – ganz patriotisch – statt Mercedes und Renault künftig wiederbelebte Ladas, Wolgas und Moskwitschs fahren; allerdings ohne Airbags und Klimaanlagen und auf dem Stand der sowjetischen 1980er. Der Grund: Man hat weder eigenen Ersatz für die westliche Technik noch Fachleute – die haben nämlich zu Hunderttausenden das Land verlassen.
Ähnlich geht es der Rüstungsindustrie. Auch sie ist auch zum Gros von westlichen Komponenten abhängig, derzeit kann man kaputtes Material aber kaum reparieren – Substitute aus Asien sind nicht ausreichend. In der Ukraine sieht man darum hauptsächlich Gerät aus der Sowjetzeit, hochtechnologischen Nachschub kann Moskau nicht schicken. Um die dortigen Verluste auszugleichen – die Armee hat gut 2000 Panzer verloren –, bräuchte es laut russischen Militärspezialisten bis zu zehn Jahre.
Warum hält Putin dennoch erbittert an seinem Krieg fest?
Weil er es kann, lautet die simple Antwort. „Autoritäre Länder sind eher in der Lage, Sanktionsdruck zu widerstehen als demokratische“, analysiert der russische Politologe Kirill Rogow. Sie haben wenig bis keinen Druck vom Volk, ziehen im Zweifelsfall die Zügel einfach noch fester an. Genau das ist in Russland passiert: Die Repressionen waren noch nie so heftig wie jetzt, Putin hat keinerlei öffentliche Kritiker mehr.
Die eigentliche Frage ist daher, wie der Westen aus diesem Dilemma rauskommen kann, ohne sich selbst noch mehr zu beschädigen. Rogow meint, man sollte sich auf jene Sanktionen fokussieren, die die Kriegsmaschinerie stoppen. Ökonom Inosemzew hingegen sagt, man müsse Putins mächtige Oligarchen dazu verleiten, ihn loszuwerden – schlicht, indem man ihnen Straffreiheit für die Auslieferung ihres Präsidenten an Den Haag anbietet.
Kommentare