Golan: "Gefühle wie im Druckkochtopf eingesperrt"

Jeder Blauhelm wird nach dem Einsatz psychologisch betreut
Notfallpsychologe Cornel Binder-Krieglstein erklärt, warum der Soldat so lange mit der Publikmachung gewartet hat.

Alle österreichischen Golan-Soldaten erhalten bei ihrer Rückkehr ein psychologisches Gespräch. Was wird dabei besprochen?

Bei jeder dementsprechenden Auslandsmission von internationalen Organisationen, nicht nur den Blauhelmen, gibt es vor dem Einsatz bereits ein Briefing. Während solcher Einsätze gibt es oft Betreuung oder Unterstützung, Heimatkontakturlaube etc. Am Ende erhält man ein Debriefing. Dabei erzählt man, was man gesehen, erlebt hat, was belastend war, was man noch besprechen will.  Oder auch Dinge, die nach dem Einsatz möglicherweise anders sind als davor. Mitarbeiter haben die Option, weiter betreut zu werden, etwa durch Psychologen. Zum Beispiel wenn es eine akute Belastungsreaktion gibt (davon spricht man bis vier Wochen nach dem erlebten Ereignis) oder eine posttraumatische Belastungsstörung.

Welche Schwierigkeiten könnten sich nach einem sechsmonatigen Kriseneinsatz ergeben? Einerseits sehen diese Soldaten fast jeden Tag Tote, andererseits gibt es sicher auch extrem langweilige Phasen.  

Im Optimalfall ist das Verhältnis von Beanspruchungsphasen und Erholungsphasen ausgewogen. Sowohl das eine, als auch das andere Extrem kann ausbrechen. Höhere Dienstschichten, weniger Ruhezeiten, oder auf der anderen Seite Unterforderung.

Welche Rolle spielt Langeweile bei so einem Einsatz?
In Krisensituationen werden die Systeme sehr rasch aktiviert. Das haben wir von unseren früheren Vorfahren. Da haben wir ein Alertsystem über Transmitterstoffe, Hormonausschüttung. Es ist ein Unterschied, ob man gerade auf etwas vorbereitet ist, oder ob man etwas zB in einer Entspannungsphase erlebt.

Golan: "Gefühle wie im Druckkochtopf eingesperrt"

Notfallpsychologe Cornel Binder-Krieglstein

Ein Soldat hat sich nach 6 Jahren beim Falter gemeldet, um einen Vorfall, den zumindest intern jeder gekannt hat, publik zu machen. Was könnte ihn dazu bewegt haben, so viele Jahre danach an die Öffentlichkeit zu gehen? Plagen einen Gewissensbisse so lang?

In so einem Fall könnte es natürlich einen Anlass geben. Der Auslöser kann mannigfaltig sein. Etwas, was eine subjektive Bedeutung hat. Etwa privat: eine Trennung, oder beruflich: für eine Mission abgelehnt worden zu sein, oder finanziell: das Geld, das die Person bei dem Einsatz verdient hat, ist ausgegangen. Jedenfalls wird vermutlich eine Unzufriedenheit der Auslöser sein, die aber damals schon entstanden ist. Aber damals hat er die Möglichkeit nicht gehabt, gehört zu werden bzw. das zu artikulieren. Und jetzt hat er ein Ventil, das publik zu machen, Befreiung zu suchen.

Man kann sich das so vorstellen: Die Gefühle waren damals wie in einem Druckkochtopf eingesperrt und konnten aus verschiedenen Gründen nicht aus ihm raus. Und jetzt hat er durch einen Anlass ein Ventil gefunden und kann dem Ärger, der Unzufriedenheit Luft machen.

Ist das befriedigend?

Das hängt zu 99 Prozent davon ab, wie das kommuniziert wird und inwieweit sich das mit seiner Erwartungshaltung deckt. Wenn etwa eine Konsequenz daraus gezogen wird, dann könnte das langfristig befriedigend sein. Manchen reicht es aber auch, das Thema in der Zeitung oder im Fernsehen zu sehen. Kommt auf die Persönlichkeit an.

Es ist leicht, von Österreich aus über die Situation zu sprechen und zu urteilen, in der sich die Soldaten befunden haben. Können wir uns überhaupt hineinversetzen?

Mit der Weisheit des Rückblicks können wir jetzt natürlich schön darüber reden und diskutieren ob es rechtlich war oder nicht. Das ist klar. Es ist gut, sich damit zu beschäftigen. Aber die Frage ist, was wir uns daraus für Ergebnisse erwarten.

DDr. Cornel Binder Krieglstein ist der Leiter der Fachsektion Notfallpsychologie im Berufsverband Österreichischer PsychologInnen.

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