"Ösi-Kanzler Kurz: Darum haben wir trotzdem aufgemacht!“, schreibt die Bildzeitung, gefolgt von: „Österreich führt vor, was in Deutschland bislang undenkbar ist!“ Und auch bei der ARD-Diskussionssendung Maischberger darf Sebastian Kurz seine Methode propagieren: Aufmachen trotz nicht gerade geringen Infektionsgeschehens – das geht.
Deutschland ist verwundert, kann man sagen. Dass in Österreich trotz eines mehr als doppelt so hohen Inzidenzwerts – wir stehen bei 139,1 Fällen pro 100.000 Einwohner, Deutschland bei 59 – Geschäfte, Schulen und Friseure dank Schnelltest-Strategie geöffnet haben, löst bei den Nachbarn nachvollziehbare Irritationen aus. Dort ist man seit 16. Dezember, also seit zehn Wochen, im harten Lockdown – und das führt zu steigender Unzufriedenheit: Nicht nur knapp ein Drittel der Deutschen will ein Ende der strengen Maßnahmen, auch Politiker und Wirtschaftsbosse aus dem Umfeld der deutschen Kanzlerin drängten zuletzt lautstark auf Öffnungen.
Geringe Inzidenz wohl utopisch
Das mag einer der Gründe sein, warum Angela Merkel am Mittwoch plötzlich davon sprach, dass „eine intelligente Öffnungsstrategie mit umfassenden Schnelltests, gleichsam als Freitesten, untrennbar verbunden“ sei. Eine Strategie nach österreichischem Vorbild also – und auch eine Kehrtwende à la Österreich: Auch Kurz war bis zuletzt nicht unter jenen, die vehement nach Öffnung schrien. Merkel trat sogar noch heftiger auf die Bremse, pochte zuletzt sogar auf einen Inzidenz-Schwellenwert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern.
Freilich: Dass dieser Wert angesichts der grassierenden britischen Mutation und der wachsenden Auflehnung der Bürger utopisch sein dürfte, dürfte der zweite Grund für den Schwenk sein. Auch, dass die steigende Unzufriedenheit die Impfbereitschaft nicht wachsen hat lassen, wird ausschlaggebend gewesen sein: Nur knapp die Hälfte der Deutschen will sich gegen Corona immunisieren lassen – in Österreich sind es laut einer Umfrage der Uni Salzburg zumindest 69 Prozent.
Nächster Lockdown nicht ausgeschlossen
Ob es in Deutschland jedoch wirklich bald zu einem flächendeckenden Schnelltest-System kommen wird, ist die andere Frage. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte den Start nämlich eigentlich für Anfang März vorgesehen, jetzt wird der Plan aber erst bei der Bund-Länder-Konferenz kommende Woche besprochen. Bis Apotheken und andere Dienstleister dementsprechend ausgerüstet sind, könnte durchaus noch viel Zeit verstreichen – Zeit, die das Virus nützen wird: Sowohl in Österreich als auch Deutschland steigen die Infektionszahlen nämlich wieder.
Hierzulande so stark, dass Kurz in der Bild sogar einen vierten Lockdown nicht ausschließen konnte. „Das kann niemand ausschließen", sagte er. "Wir erleben, dass diese Pandemie in Wellen verläuft. Die erste Welle war im Frühling, die zweite im Herbst und natürlich kommt jetzt die dritte Welle auf uns zu. Das ist so und das lässt sich auch nicht verhindern.“
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