Will man Volkswagen verstehen, reicht es eigentlich, über die Currywurst zu reden. In den Kantinen des Autobauers gibt es eine hauseigene „VW-Currybockwurst“, selbst produziert, mit hausgemachtem Ketchup, für Mitarbeiter sogar schon ab 8 Uhr morgens. Als die Wurst 2021 aus dem Sortiment verschwand, empörte sich Alt-Kanzler Gerhard Schröder öffentlich: „Wenn ich noch im Aufsichtsrat von VW säße, hätte es das nicht gegeben“, sagte er.
Ein Spitzenpolitiker als Kontrolleur von Europas größtem Autobauer? In Deutschland, sprich Niedersachsen, ist das ganz normal. Die Politik redet im Konzern seit jeher mit, der Ministerpräsident sitzt im Aufsichtsrat, das Land hält 20 Prozent der Stammaktien, hat über das VW-Gesetz sogar ein Vetorecht. Die Ursprünge dafür sind historisch: Volkswagen ist eine Erfindung der Nazis, Hitler wollte in der Reißbrett-Stadt Wolfsburg seinen „Kraft durch Freude“-Wagen bauen lassen, tatsächlich schraubten Zwangsarbeiter an Militärfahrzeugen. Nach dem Krieg übernahmen die Alliierten den Konzern, machten die Mitsprache des Staates zur Auflage, mit Folgen bis heute: Kein deutscher Konzern wird so von Politik und Gewerkschaft mitgeführt wie VW – und keine Firma hatte in der Politik so viel mitzureden wie die Wolfsburger Autobauer.
Affären und Skandale
Lange profitierten beiden Seiten von dieser Symbiose. In Niedersachsen haben unglaubliche 60 Prozent der Beschäftigten mit der Autobranche zu tun, deutschlandweit hängen knapp 800.000 Jobs an VW – die Autobranche ist der mit Abstand größte Industriezweig des Landes. Das bringt dem Staat massenhaft Steuern, und der Branche Einfluss: In Berlin witzelte man lange, die VW-Führung habe einen eigenen Eingang im Kanzleramt. Schließlich machte man dort lange Politik ganz im Sinne Wolfsburgs: Immer wieder intervenierten Kanzler in Brüssel, wenn es um die Regulierung der Branche ging; ob von SPD oder CDU, war da ganz egal.
Angela Merkel etwa griff bei den scharfen EU-Klimaauflagen 2008 zum Telefon und verwässert sie, später verhinderte sie hinter den Kulissen strengere Grenzwerte und schärfere Kontrollen bei Abgasen – das rächte sich dann beim Dieselskandal. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder, einst Niedersachsens Ministerpräsident, nannte sich stolz „Autokanzler“, handelte sich damit aber einen Imageschaden ein: Er ließ seinen Freund und Berater, VW-Vorstand Peter Hartz, das Arbeitslosengeld zu Hartz IV eindampfen, doch der stolperte später über eine massive Korruptionsaffäre. Hartz hatte Millionen veruntreut, um den Betriebsrat zu „kaufen“, unter anderem mit Prostituierten.
Auf Distanz
Seit dem Abgasskandal bemüht man sich um Distanz. Das funktioniert nicht immer: Stephan Weil, heute noch Ministerpräsident Niedersachsens, hat 2017 eine Regierungserklärung vorab nach Wolfsburg geschickt, zum Redigieren; ausgerechnet jene zum Dieselskandal. Solche Fehltritte sind für Beobachter auch für die Krise heute mitverantwortlich: Die Politik habe viel zu lange weggeschaut, als es mit der Kernmarke VW bergab ging, heißt es von FAZ, Süddeutscher Zeitung und Konsorten.
Ob die Zurufe von außen etwas bringen? Bei der Currywurst hat es funktioniert. Die gibt es seit 2023 wieder.
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