So will Deutschland die Ostsee vor Putins Drohnen schützen

Deutschland Marine Kiel
In Kiel rüstet die deutsche Marine massiv auf, um russische Sabotageakte verhindern zu können. Das Geld ist da – doch es mangelt an Personal.

Vor dem Zaun steht ein einzelner Wachmann im Halbdunkel. Das silberne Meer umspült die großen Kriegsschiffe, die hinter ihm vor Anker liegen. Ihrem grauen Stahl hat die Wolkendecke jeden Glanz genommen.

Es liegt Spannung in der Luft, hier am Marinestützpunkt Kiel-Wik. Kapitänleutnant Alex – sein Nachname darf aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden – bekommt das direkt bei der Ankunft am Hafentor zu spüren. 

„Und Sie sind?“, fragt ein Wachmann forsch. Alex hebt die Hand: „Ich bin der Kommandant der ,Dillingen’.“ Seinen Ausweis muss Alex trotzdem zeigen, dann erst wird er hineingelassen. „Eine gute Wache“, sagt er grinsend. „Genau so muss das sein.“

Deutschland Marine Kiel

Zwei Minenjadgboote und ein "Tender" liegen am Marinestützpunkt Kiel-Wik vor Anker.

Die „Dillingen“ ist eines von zwölf Minenjagdbooten der deutschen Marine in Kiel. Wie der Name schon sagt, dienen sie eigentlich dazu, Seeminen aufzuspüren und zu zerstören. In der Ostsee gibt es immerhin noch Hunderttausende Tonnen an „Altlasten“ aus beiden Weltkriegen. 

Doch weil die Boote mit ihrem starken Sonar auch Unterwasserdrohnen orten können, dienen sie der NATO heute als wichtige Werkzeuge, um Pipelines und Unterseekabel vor hybriden Angriffen zu schützen.

"Ich bin vor jeder Ausfahrt nervös"

Seit Anfang September hat Alex das Kommando auf der „Dillingen“ übernommen – und damit über die fast 40-köpfige Besatzung. Glückwünsche nimmt er nicht entgegen. „Ist ja keine Einzelleistung.“ Er ist 35, nur fünf Jahre älter als das Schiff selbst. Mit seinem Vollbart, der Glatze und dem Kommandantenhut wirkt er fast wie der Prototyp eines Schiffkapitäns.

Alex führt mit schnellen Bewegungen durch die engen, stählernen Gänge seines neuen Arbeitsplatzes, öffnet Schotten, zeigt auf Plaketten verbündeter NATO-Verbände an den Wänden. Auf engstem Raum teilen sich je zwei Soldaten eine Kabine, Alex grüßt jeden beim Namen.

Deutschland Marine Kiel

Die Brücke des Minenjagdbootes "Dillingen".

Früher war man bei einer Ausfahrt bis zu fünf Monate auf See, heute gibt es aufgrund von NATO-Vorgaben häufigere Ruhepausen. Nächste Woche geht es für die „Dillingen“ wieder los. Bei einer Zigarette auf dem Heck gesteht Alex: „Ich bin vor jeder Ausfahrt nervös.“ Eine gewisse Grundspannung sei eben immer da, wenn man Verantwortung trägt. „Anders als früher fährt man aber heute im Wissen los, dass es jederzeit zum Ernstfall kommen kann.“

"Wir befinden uns nicht im Krieg, aber auch nicht im Frieden"

In diesen Tagen zeigt sich die neue Bedrohungslage in der Ostsee deutlicher denn je. Erst tauchten Anfang September russische Drohnen über Polen und Rumänien auf, dann Kampfjets über Estland, in dieser Woche sogar mehrfach Drohnen über Dänemark. Als sich am Mittwoch deshalb die 27 EU-Regierungschefs in Kopenhagen zum Krisengipfel trafen, parkte die deutsche Marine dort zum Schutz eine Fregatte im Hafen.

Flottillenadmiral Christian Walter Meyer, der höchste Marineoffizier am Standort Kiel, formuliert die neue Realität so: „Wir befinden uns nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden.“ Die Ostsee sei inzwischen ein „Hotspot“, das spüre man täglich. „Putin hat uns ins 19. Jahrhundert zurückgebombt“, sagt Meyer. „Er hat die Friedensordnung infrage gestellt.“ Und die NATO-Staaten – damit auch Deutschland – gezwungen, innerhalb weniger Jahre massiv aufzurüsten. Das sei „schlimm“, so der Admiral, „aber es ist leider eine Notwendigkeit.“

Von einer „Zeitenwende“ sprach Ex-Kanzler Olaf Scholz, als er vor drei Jahren die Aufrüstungsoffensive ausrief. Seither steigt das deutsche Verteidigungsbudget stetig, in diesem Jahr liegt es bei 62 Milliarden Euro. Außerdem nahm der Staat massiv Schulden auf, schuf ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro und bestellte damit neue Waffen, Geräte, Fahrzeuge und Schiffe – darunter je sechs hochmoderne Fregatten und U-Boote für die Marine.

An Bord der „Dillingen“ sind die Früchte der „Zeitenwende“ schon zu sehen. Neben drei unterschiedlichen Varianten von Unterwasserdrohnen – „Remus“, „Seefuchs“ und „Sea Cat“ – liegt dort ein metallenes Gerät, das aussieht wie ein Gewehr aus einem Science-Fiction-Film. Ein sogenannter „Jammer“: Damit kann man die Elektronik von Flugdrohnen aus der Ferne lahmlegen und sie zum Absturz bringen.

Deutschland Marine Kiel

Mit einem solchen "Jammer" können Flugdrohnen aus der Ferne lahmgelegt und zum Absturz gebracht werden.

Um wirklich wehrfähig zu sein, komme es genau auf solche Systeme an, sagt Admiral Meyer. „Wir müssen bei der Entwicklung Schritt halten. Wenn sich der Drohnentyp plötzlich grundlegend ändert, müssen wir auch neue Abwehrsysteme an Bord bringen können. Und zwar schnell.“ Meyer ist zuversichtlich, dass das möglich ist: „Es sieht so aus, dass uns das Geld in den nächsten Jahren keine ernsthaften Grenzen setzt.“

Generationenwechsel

Am Budget mangelt es also nicht, sehr wohl jedoch an neuen Rekruten. „Die deutsche Marine hat ein Personalproblem, es hat auch keinen Sinn, das kleinzureden“, sagt Meyer. Es gebe zu wenige Bewerber, gleichzeitig steige durch die Aufrüstung der Bedarf an Soldaten. Zwar seien die Grundausbildungseinheiten gerade voll, „es wird aber Jahre dauern, bis diese Menschen ausgebildet sind und tatsächlich in den Dienst treten können.“

Nicht immer läuft es so wie bei Alex. Der entschloss sich schon als 16-Jähriger, später zur Marine zu gehen. Er wurde Offiziersanwärter, Ausbilder, studierte Politikwissenschaften. Und ist heute überzeugt: „Es gibt viele junge Menschen, für die das interessant ist. Die Anerkennung von Bundeswehr und Marine hat sich in den letzten Jahren enorm verbessert.“

Der nötige Generationenwechsel wird an diesem Tag auch deutlich, als sich ein verdienter Offizier in den Ruhestand verabschiedet. Alle ranghohen Mitarbeiter der Flottille stehen für ihn Spalier, sie salutieren, als der Mann zwischen ihnen hindurch schreitet. Kurz vor dem schwarzen Wagen, der ihn ein letztes Mal nach Hause fahren wird, dreht er sich um. „Ich wünsche Ihnen allen Gesundheit und Zufriedenheit“, ruft er. „Und passen Sie auf unsere Flottille auf!“

Kommentare