Unterseekabel: Die verletzlichen Lebensadern der Moderne

Die Nachricht am Dienstag ließ die globalisierte Welt wieder einmal spüren, wie fragil sie eigentlich ist. Der Datenverkehr im Internet zwischen Europa, Asien und dem Nahen Osten, er war auf einen Schlag um ein Viertel verlangsamt worden. Das stellte der Hongkonger Internetanbieter HGC fest – und ließ in mehreren Staaten die Alarmglocken schrillen.
Kurz darauf bestätigte der südafrikanische Konzern Seacom die Befürchtungen: Mehrere Unterseekabel am Boden des Roten Meeres waren zerstört worden. Könnte es wirklich sein, dass die in der Region aktiven Houthi-Rebellen mit ihren Terrorangriffen das Internet ins Visier nehmen?
Anders als gemeinhin angenommen, stellen nicht Satelliten im All, sondern dicke Kabel auf dem Meeresgrund die weltweite Internet- und Telekommunikationsverbindung sicher. Und es werden immer mehr: 2012 gab es auf der Welt nur 150 solcher Unterseekabel, nach einer globalen Ausbau-Offensive stieg ihre Zahl bis 2014 schlagartig auf 285 an. Heute ziehen sich knapp 500 Datenschläuche durch die Ozeane.
Ihren Anfang nahm die Technologie im Jahr 1850, als es erstmals gelang, Großbritannien und Frankreich über ein Kabel durch den Ärmelkanal zu verbinden. Damals wurde es noch für Telegramme genutzt – und nach nur einem Tag von einem Fischerboot zerstört. Europa und Nordamerika sind erst seit 1956 per Telefonkabel verbunden, davor nutzte man Langwellenfunk – was nicht nur extrem teuer, sondern auch leichter zu stören war.
Seit 1988 dominieren Glasfaserkabel die Weltmeere und ermöglichen die Nutzung des Internets. Ein einziges solches Kabel kann mehrere tausend Kilometer lang sein und mehrere hundert Millionen Euro kosten. Wo sie verlegt sind, muss auf jeder Seekarte markiert sein – weil die Kabel Magnetfelder erzeugen, die Schiffskompasse stören.
Moderne Glasfaser-Unterseekabel sind mit mehreren Schichten vor dem Eindringen von Meerwasser geschützt: Die Glasfasern stecken in Kupferrohren, die wiederum in Aluminiumrohren gebündelt werden. Drumherum folgt ein Ring aus Stahldrähten, dazwischen dämmen insgesamt drei Kunststoffschichten.
An Land verlaufen die Kabel unterirdisch in Rohren, am Strand werden sie in circa 10 Metern Tiefe vergraben. Um die Kabel im Meer zu verlegen, kommen sogenannte Kabelleger-Schiffe zum Einsatz. Sie müssen extrem langsam fahren und ihr Tempo sowie etwaige Manöver ständig an die Beschaffenheit des Meeresbodens anpassen. Ein Schiff kann heutzutage bis zu 9.000 Meter Kabel transportieren.
Zur Reparatur nutzen die Schiffe Drohnen, um die Kabel aus oftmals mehreren Kilometern Tiefe an die Oberfläche zu tauchen.

An Land verlaufen die Kabel meist in unterirdischen Rohren.
Doch auch wenn die Kabel inzwischen immer besser geschützt sind, sind sie vergleichsweise leicht zu beschädigen. Im Schnitt fallen pro Woche weltweit zwei Kabel aus – meistens, weil sie von Schiffsankern oder großen Fischernetzen aus Metall getroffen werden.
Seit Donnerstag ist klar, dass auch der vermeintliche Houthi-Angriff ein Unfall gewesen sein dürfte. Die Rebellen hatten schon Ende Februar das Frachtschiff „Rubymar“ beschossen, das Anfang dieser Woche vollends unterging. Damit die Crew rechtzeitig von Bord gehen konnte, setzte sie jedoch inmitten eines Untersee-Kabelsalats den Anker ins Rote Meer – er dürfte in den folgenden Tagen die Leitungen gekappt haben.
Trotzdem zeigt der Fall erneut auf, wie leicht angreifbar unsere moderne Welt ist. Zumal es auch andere Beispiele gibt, die zumindest verdächtig erscheinen.
Alleine 2023 wurden Unterseekabel vor Finnland und Taiwan zerstört - beide Male stehen chinesische Schiffe im Verdacht
Im Februar 2023 etwa fiel auf den taiwanesischen Matsu-Inseln unmittelbar vor der chinesischen Küste das Internet aus. Die Ursache war so schnell gefunden wie naheliegend: Gleich zwei Unterseekabel waren durchtrennt worden, noch dazu von chinesischen Schiffen. Chinas Regierung sprach anschließend von einem „Unfall“.
Noch wilder wurde es im vergangenen Oktober, als auf einen Schlag die Gaspipeline Balticconnector sowie zwei Unterseekabel zerstört wurden, die Estland, Finnland und Schweden versorgten. Finnland, das kurz vor dem NATO-Beitritt stand, leitete eine Untersuchung ein – und fand heraus, dass sich zum Zeitpunkt der Schäden nur ein russischer Eisbrecher sowie ein chinesisches Frachtschiff in dem Gebiet befunden hatten. Die „Newnew Polar Bear“ war daraufhin monatelang im Hafen von Tianjin geparkt, finnische Ermittler erhielten keinen Zutritt.
Erst 2022 erstellte ein Forscherteam im Auftrag der EU einen Befund über die Sicherheit der IT-Infrastruktur Europas. Darin warnen sie davor, dass die Kabel dringend besser geschützt werden müssen. Dafür spricht auch, dass immer wieder einfachste Unfälle passieren, die man sich gar nicht ausdenken kann.
So fiel etwa 2011 in Armenien und Georgien stundenlang das Internet aus, weil eine 75-jährige Frau am Strand ein Unterseekabel ausgegraben und eigenhändig zersägt hatte. Sie hielt es für Schrott – und wollte es auf dem Markt verkaufen.
Kommentare