Wehrpflicht, Beschaffung, Personal: Die vielen Leiden der Bundeswehr

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) versucht seit Amtsantritt nach Kräften, den „Patienten“ Bundeswehr gesund zu pflegen.
Seit der Aussetzung 2011 bleibt die Wehrpflicht eine Phantomdebatte. Seither versinkt die Bundeswehr in Material-, Personal- und Glaubwürdigkeitskrisen.

„Wir sind damit wieder zurück auf dem Weg hin zu einer Wehrdienstarmee“, sagte der deutsche Kanzler Friedrich Merz am Mittwoch, nachdem sein Kabinett nach langen Diskussionen über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nur kosmetische Änderungen beschlossen hatte. Statt den verpflichtenden Dienst an der Waffe zu reaktivieren, setzt man auf Freiwilligkeit beim Wehrdienst. Sollten sich nicht genügend Personen melden, könne der Bundestag später immer noch eine Wehrpflicht beschließen. Damit hat sich seit Aussetzung der Wehrpflicht durch Theodor zu Guttenberg 2011 nichts geändert.

Leere Lager

Seither steckt die Bundeswehr in einer tiefen Krise. Materiell wie personell. Die Munitionslager sind leer, Folgeaufträge verlaufen schleppend, und nach Ansicht vieler Experten wird zu wenig bestellt. In den vergangenen 30 Jahren ging die Zahl der Kampfpanzer „Leopard 2“ von 2.125 auf 310 zurück, 18 wurden an die Ukraine geliefert. Eines der Probleme bei der Beschaffung heißt „Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“ (BAAINBw). Das Amt ist bekannt für seine ineffizienten, extrem teuren Rüstungsprojekte. Der Grund: Viele Geräte und Waffensysteme sollen laut BAAINBw extra für die Bundeswehr angefertigt werden und unter anderem Umweltstandards genügen.

So kostete etwa die Beschaffung des Schützenpanzers Puma 1,6 Milliarden Euro mehr als ursprünglich veranschlagt – und kam 57 Monate zu spät. Noch dazu erlebte die Bundeswehr Anfang 2023 ein wahres Debakel, als bei einer Übung alle 18 eingesetzten Schützenpanzer ausfielen. Bei einem brach ein Brand im Kabelraum aus, der Feuerlöscher war mit „umweltfreundlichem“ Pulver gefüllt, das die Elektronik des Panzers zerstörte.

Die damalige Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), sah Ende 2024 in ihrem Bundeswehrbericht allein für die Kasernen einen Investitionsbedarf von 50 Milliarden Euro. Unter anderem kritisierte sie „gesundheitsgefährdende Schimmelbildung in den Duschen“.

Personalprobleme

Es ist einer von vielen Punkten im Bericht, die schon allein in puncto Infrastruktur aufgearbeitet gehörten. Obendrein plagen die Bundeswehr Personalsorgen: Ziel ist es, 260.000 Soldaten zu erreichen, allerdings gibt es nach wie vor Schwierigkeiten, die derzeit 181.000 aktiven Soldaten zu halten. 4.960 der 18.770 im Jahr 2022 angetretenen Soldatinnen und Soldaten, das sind rund 26 Prozent, haben die Bundeswehr im Berichtsjahr 2023 wieder verlassen.

Das ist ein Problem für die Pläne des neuen Wehrdienstmodells: Pro Jahr will man mittels eines „verpflichtenden Fragebogens“ 15.000 freiwillige Wehrdienstleistende gewinnen (Österreich hat jährlich mehr Grundwehrdiener).

Dennoch begrüßte Merz den Gesetzesentwurf, der unter anderem eine verpflichtende Musterung ab 2027 vorsieht. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der lange für eine echte Wehrpflicht gekämpft hatte, übte sich in Zweckoptimismus: „Wir haben für dieses Jahr 15.000 Freiwillige angepeilt und sind jetzt im August schon bei knapp 13.000 angelangt“, sagte er. Ziel sei es, bis 2029 auf jährlich 30.000 zu kommen und dann 110.000 Wehrdienstleistende ausgebildet zu haben.

Anders sieht das der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter: „Ich halte das Wehrdienstmodell leider für einen verzögernden Zeitfresser“, sagte er. Damit werde nur wertvolle Zeit vergeudet. „Freiwilligkeit ist schön in Friedenszeiten, sie reicht aber nicht aus, um die notwendige Resilienz aufzubauen, die wir zur Abschreckung brauchen.“

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