Merz leitet mit Kampfansage an den Koalitionspartner SPD "heißen Herbst" ein

Harmonie auf der Regierungsbank sieht anders aus: SPD-Ko-Vorsitzender Klingbeil und CDU-Kanzler Merz (r.)
Die politische Sommerpause in Deutschland ist vorbei, ein „heißer Herbst“ steht bevor. Eingeleitet wurde er am Wochenende von Kanzler Friedrich Merz (CDU) – gleichsam mit einer Kampfansage an den sozialdemokratischen Koalitionspartner, auch wenn viele danach den Ball flach halten wollen.
„Ich bin mit dem, was wir bis jetzt geschafft haben, nicht zufrieden. Das muss mehr werden“, konstatierte der Christdemokrat auf dem Landesparteitag der CDU-Niedersachsen. Und wohin die Reise gehen müsse, machte er auch gleich klar: „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“
Kürzungen in diesem Bereich werde es geben müssen, da werde er sich auch nicht „durch Worte wie Sozialabbau oder Kahlschlag, und was da alles kommt, nicht irritieren lassen“, fügte Merz in Richtung SPD an.
Dort zeigte man sich in der Zentrale nach außen hin gelassen. Die scharfe Rhetorik sei wohl ein Zugeständnis an die Parteibasis, meinte etwa der rote Generalsekretär Tim Klüssendorf, der sich aber eine beißende Anmerkung nicht verkneifen konnte: „In Wirklichkeit weiß auch er (der Kanzler; Anm.), dass unser Sozialstaat eine zentrale Errungenschaft unserer Demokratie und das Fundament jener sozialen Marktwirtschaft ist, die Deutschland stark gemacht hat.“

SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf
Andere in seiner Partei wurden da schon eindeutiger. So sagte die Vize-Vorsitzende Serpil Midyatli der "Bildzeitung", dass Sozialdemokraten in „mehr als 160 Jahren einen starken Sozialstaat erkämpft“ hätten. Das jetzt allein auf „die Kassenlage zu reduzieren, wird es mit uns nicht geben“.

SPD-Vize-Vorsitzende Serpil Midyatli
Noch schärfer formulierte Juso-Chef Philipp Türmer: „Hinsetzen und sich mit der Materie beschäftigen“, sagte der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation Richtung Kanzler. Wer über Sozialleistungsbeziehende rede, solle deren Lebensrealität kennen.

Juso-Chef Philipp Türmer
Worum geht es konkret? In der Vorwoche hatte Finanzminister Lars Klingbeil, zugleich Ko-Vorsitzender der Sozialdemokraten, auf eine riesige Finanzlücke im deutschen Bundeshaushalt für die Jahre 2027 bis inklusive 2029 hingewiesen. Laufe alles wie bisher weiter, würde sich insgesamt eine Lücke von mindestens 172 Milliarden Euro auftun.
Und diese will der Regierungschef vor allem mit Kürzungen im Sozialbereich wenigstens teilweise schließen. Speziell beim „Bürgergeld“, eine Art Grundsicherung, die das frühere „Hartz IV“-System abgelöst hat, will Merz ansetzen.
„Es kann nicht so bleiben! 5,6 Millionen Menschen leben im Bürgergeld, davon Millionen Aufstocker (die trotz Erwerbseinkommen ihren Lebensunterhalt nicht decken können; Anm.).“ Viele Bezieher könnten (mehr) arbeiten, tun es aber nicht. „Was ist eigentlich mit diesem System los?“, wetterte der Kanzler auf dem CDU-Parteitag in Osnabrück.
"Harte Bandagen"
Rückendeckung erhält der 69-Jährige vom deutschen Wirtschaftswissenschaftler und Sozialexperte Bernd Raffelhüschen. Dieser sagte der "Bildzeitung": „Die Anreize in Deutschland stehen auf Sozialhilfe und nicht auf Arbeit.“ Man müsse „harte Bandagen anziehen für alle Menschen, die erwerbsfähig sind, aber keiner Erwerbstätigkeit nachgehen.“
Das Bürgergeld, das den Staat allein heuer knapp 43 Milliarden Euro koste, müsste in Sachleistungen umgewandelt werden, meint Bernd Raffelhüschen.
Mütterente aussetzen?
Bei Pflege und Gesundheit fordert er erhebliche Eigenleistungen und Selbstbehalte. In punkto Rente (der staatliche Zuschuss liegt bei rund 120 Milliarden Euro pro Jahr) drängen Experten unter anderem, das Antrittsalter an die Lebenserwartung zu knüpfen und die Mütterrente zumindest nicht auszuweiten, besser gar auszusetzen.
Alles in allem starker Tobak für die Sozialdemokratie, deren pragmatischer Flügel zwar die Notwendigkeit von Einsparungen sieht, aber auch neue Steuern zur Schließung der Finanzlücke ins Spiel bringt.
So denkt Lars Klingbeil laut darüber nach, Spitzenverdiener und Vermögende stärker als bisher in die Verantwortung zu nehmen. Und auch eine Erhöhung der Erbschaftssteuer ist immer wieder Thema innerhalb der SPD.

CSU-Chef Söder poltert gegen neue Steuern
Für die Konservativen und Kanzler Friedrich Merz, der am Montag sämtliche Minister der Union – die sogenannte „schwarze Runde“ – zu einer Strategiesitzung in Berlin zusammentrommelte, stellen neue Abgaben ein absolutes „No Go“ dar. Oder wie es der bayerische CSU-Chef Markus Söder zu Beginn des „heißen Herbstes“ prägnant formulierte: „no way, no chance“.
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