Identifizieren mit biometrischen Daten
Hinter dem Gesetz stehen die Fraktionen CDU und SPD. Sie setzen auf automatisierte Gesichtserkennung in Menschenmengen, insbesondere an deutschen Bahnhöfen, um Straftäter noch schneller aus dem Verkehr ziehen zu können. „Wir sorgen durch Gesichtserkennung mittels KI für sichere Bahnhöfe“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann dem Handelsblatt.
Dazu soll eine Identifizierung von Personen über biometrische Daten behilflich sein. Wenn sich jemand auffällig verhält oder eine Waffe sichtbar bei sich trägt, zum Beispiel ein Messer oder einen Baseballschläger, schlägt das KI-gesteuerte System Alarm. Polizeibeamte dürfen dann die Gesichtserkennung starten. Der Verdächtige wird mit der polizeilichen Datenbank verglichen, wenn er bereits vermerkt ist, wird er „grafisch gekennzeichnet“ – also markiert und weiterverfolgt.
Die Fraktion der Grünen lehnen die Pläne ab. Konstantin von Notz, Vizechef der Grünen-Bundestagsfraktion, äußerte sich dem Handelsblatt: „Mehr Sicherheit für Deutschland erreicht man mit einem solchen Law-Order-Populismus ganz gewiss nicht.“
Zugriff auf alle öffentlichen Bilder?
Die sogenannte „Echtzeitfernidentifizierung“ soll bei, von der Polizei definierten, „Angsträumen“ verwendet werden. Darunter fällt gleich eine ganze Liste an Orten. Öffentliche Räume wie Bahnhöfe und Flughäfen, aber auch „Religionsstätte“ darunter Moscheen oder Synagogen müssen laut Gesetzesantrag kontrolliert werden. Bei „großen öffentlichen Veranstaltungen“ bleibt noch Raum zur Spekulation – müsste man sich dann auch bei Konzerten oder sogar im Kino überwachen lassen?
Mittlerweile wird auch angedacht die Datenbank an Personen zu erweitern: das System gleicht nicht nur mit dem Bestand der Polizei ab, sondern dürfte sogar auf alle öffentlich einsehbaren Fotos im Internet zugreifen, geht es nach SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Damit könnten die KI-Kameras künftig alle Gesichter erfassen, egal ob Straftäter oder nicht. Ob das noch in den Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fällt, bleibt fraglich.
Erst im Juni ist der europäische „AI-Act“, ein Gesetz über Künstliche Intelligenz und den sicheren und transparenten Einsatz der Technologie, in Kraft getreten. Darin sei die biometrische Gesichtserkennung als „hochriskant“ eingestuft worden und bis auf wenige Ausnahmen prinzipiell verboten. Biometrische Daten seien nur in bestimmten strafrechtlichen Fällen erlaubt, darunter die Suche nach Terroristen und Vermissten, aber nicht flächendeckend im öffentlichen Raum.
Unterschiedliche Definitionen von Straftaten
Daniela Birnbauer, österreichische Rechtsanwältin mit Fokus auf KI-Regulierung in der Kanzlei Schönherr, äußert sich zur rechtliche Situation kritisch: „Die Mitgliedsstaaten können eine gesetzliche Ermächtigung zum Einsatz biometrischer Fernidentifizierungssysteme vorsehen, sofern sie die in der KI-Verordnung vorgesehenen Grenzen und Bedingungen einhalten. Der hessische Gesetzesentwurf ist als eine solche Ermächtigung zu sehen. Es wäre im Detail zu prüfen, ob die Vorgaben der KI-Verordnung eingehalten wurden.“ Somit müssten Einzelne bei unklaren Situationen den Rechtsweg bestreiten.
Laut ihr käme es bei der Auslegung des Gesetzes auf die Definition von Straftaten an. Die KI-Verordnung nenne zwar eine Liste von 16 Straftaten bei der Gesichtserkennung anwendbar sei, diese „teilen aber keine gemeinsame europäische Definition, insofern ist nach dem jeweiligen nationalen Recht zu bestimmen, welche Handlungen darunterfallen.“
Obwohl eine Kontrolle durch richterliche Anordnung vorgesehen ist, bärge es laut ihr weiterhin „die Herausforderung, anhand von relativ unklaren Kriterien jedes Mal eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Es besteht die Gefahr, dass in der Praxis bloß oberflächliche Überlegungen in der konkreten Situation angestellt und mit floskelhaften Begründungen gearbeitet werden könnte.“
Darüber hinaus ist laut dem Gesetzesantrag nicht nur der öffentliche Raum von KI-Überwachung betroffen, sondern soll auch bei Drohneneinsätze zur Telekommunikationsüberwachung oder zum Filmen von Wohnungen als auch zur Überwachung von elektronischen Fußfesseln verwendet werden. Auch diese Punkte könnten bald zur Debatte stehen.
Testdurchlauf bereits 2017
Nicht zum ersten Mal befasst sich Deutschland mit der Umsetzung von Videoüberwachung mit Gesichtserkennung in der Öffentlichkeit. Bereits 2017/2018 wurde ein Gesichtserkennungssysteme am Bahnhof Berlin-Südkreuz eingesetzt, um polizeiliche Arbeit zu vereinfachen. Der Testdurchlauf ergab eine durchschnittliche Trefferrate von 80 Prozent, die Falschtrefferrate lag bei 0.1 Prozent. Damit wurde bei 1.000 Abgleichen nur einer fehlerhaft erkannt.
Auch damals wurden mehrere Bedenken über Eingriffe in die Privatsphäre und Datenschutz geäußert. Nicht zu vergessen: am Bahnhof Berlin-Südkreuz befinden sich durchschnittlich 179.000 Reisende pro Tag, das wären laut Testergebnis 179 Menschen die täglich, unbegründet, Opfer einer polizeilichen Kontrolle wären.
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