Die große Transgender-Angst: "Umerziehung" mit der Maus?

Eine Maus-Statue mit einer bunten Maske und ein blauer Elefant stehen auf einem öffentlichen Platz.
In Deutschland tobt eine Debatte wegen angeblicher „Frühsexualisierung“ von Kindern durch ARD und ZDF. Was ist da los?

Wenn in Deutschland die Worte Gender-Umerziehung, Frühsexualisierung und öffentlicher Rundfunk aufeinandertreffen, kann man sich sicher sein: Das wird zu einer gehörigen Schlammschlacht führen.

Damit wird auch die immer gerne aneckende Welt gerechnet haben, als sie am Mittwoch einen offenen Brief von 120 Wissenschaftlern veröffentlichte. Die beklagten darin, dass viele Sendungen von ARD und ZDF – finanziert mit Steuergeld – bereits kleine Kinder „sexualisieren und umerziehen“. Schon in der „Sendung mit der Maus“ würde Kleinsten tendenziös nahegebracht, wie man das biologische Geschlecht wechsle – und das, obwohl die Theorie der „Vielgeschlechtlichkeit“ ja kompletter Humbug sei. Der Vorwurf: „Aktivisten mit ihrer ,woken’ Trans-Ideologie“ unterwanderten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Eine alte Debatte

So weit, so marktschreierisch – doch um was geht es hier wirklich?

Die Debatte, die hier geführt wird, ist nicht neu – aber sie kocht gerade neu über. Schon seit den 1970ern, als die Linke die sexuelle Befreiung feierte, kam vom konservativen Lager Kritik an der „Frühsexualisierung“ von Kindern und Jugendlichen. Wer zu früh mit Sexualität, Homosexualität oder Gender konfrontiert werde, könnte sich davon ja angezogen fühlen, so Angst. Bis heute sind „Frühsexualisierung“ und „sexuelle Umerziehung“ daher politische Kampfbegriffe, eingesetzt im Kampf des rechten Lagers gegen den angeblich „verführenden“ Sexualunterricht in Schulen und beim ohnehin polarisierenden Genderthema.

Gepaart mit dem zweiten Lieblingsthema des rechten Lagers, der Zweckentfremdung Fernsehgebühren, ergibt das eine Steilvorlage für die linke Gegnerschaft. Und die sprang begeistert auf: In den sozialen Medien, vornehmlich auf Twitter, wurde nicht nur der Inhalt des Briefs zerfleischt, sondern auch die Autoren. Die, hauptsächlich Biologen und Philosophen, würden den „Nimbus der Objektivität“ und die „Seriosität der Wissenschaft“ ausnutzen, um „willkürliche Behauptungen als wahr und richtig darzustellen“. Die Welt, für Kritiker ohnehin Zentralorgan des bürgerlichen Rechtspopulismus, biete „Fachfremden“ eine Bühne für das „Mainstreaming rechtsextremer Narrative“.

Erinnerungen an Emma-Brief

Rechnet man all die Aufgeregtheit ab, bleibt im Kern ein Vorwurf über, der – anhand der im Brief gesammelten Belege – kaum so schwer wiegt wie behauptet. Die kritisierte Folge der „Sendung mit der Maus“, die Kinder angeblich animiere, ihr Geschlecht hormonell und operativ zu ändern, widmet sich lediglich der Geschichte eines Über-50-Jährigen, der nach langen Jahren als Mann nun als Frau lebt. Sie wurde bereits durch zahlreiche rechte Blogs gereicht; der WDR als Produzent äußerte sich bereits mehrfach. Andere, im Brief kritisierte Sendungen – etwa zu „Penisentfernung“ oder „Drogen-Sex“, wie die Autoren schreiben – finden sich nur in den von ARD und ZDF auf Jugendlichkeit getrimmten Youtube-Kanälen. Im Fernsehen sieht man davon nichts.

Unterm Strich ähnelt dieser Brief damit einem anderen – jenem Alice Schwarzers in Emma. Auch sie hatte ein berechtigtes Anliegen, die Argumentation war aber eher problematisch – und trug nur zur Polarisierung bei. Ähnlich ist es jetzt: Unter den Autoren sind einige Wissenschafter, die in der Gender- und Trans-Debatte vielleicht Hörenswertes zu sagen hätten. Der schreiend-simplifizierte Brief übertönt das – und dividiert die Lager nur weiter auseinander.

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