Deutscher Politologe: „Echter Aufbruch schaut anders aus“
Ampel (Rot-Gelb-Grün) oder Jamaika (Schwarz-Gelb-Grün) – eine dieser Koalitionen wird Deutschland wohl die kommenden Jahre regieren (siehe auch links oben). „Wobei die Regierungsverhandlungen diesmal eine hoch komplexe Angelegenheit sind und länger dauern werden, als viele glauben“, analysiert der deutsche Politologe Wolfgang Merkel im KURIER-Gespräch.
Das Problem, das der Experte (nicht verwandt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel) ortet: „Die Grünen werden sich hüten, in ein Jamaika-Bündnis zu gehen. Da wären sie eingeklemmt zwischen zwei Markt-orientierten Parteien. Umgekehrt wäre bei einer Ampel die FDP mit anderen Vorzeichen in dieser Sandwich-Position.“
Grundsätzlich hält der 69-Jährige vom Wissenschaftszentrum Berlin beide Varianten für möglich – merkt aber an, dass die Union (CDU/CSU) „die große Verliererin“ dieser Wahl sei: „Sie hat ein Niveau erreicht, das sich in der Partei vor vier Monaten niemand in den schlimmsten Träumen vorstellen hätte können. Zudem wurde der Kandidat (Armin Laschet) als schwächster der drei eingestuft. Echter Aufbruch schaut anders aus.“
„Geschreddert“
Dennoch glaubt Wolfgang Merkel, dass die CDU unbedingt einer kommenden Regierung vorstehen wolle – gemäß ihres Leitsatzes, wie der Politologe meint: „Macht nützt sich für den ab, der sie nicht hat.“ Die Konservativen brauchten die Macht so wie keine andere Partei in Deutschland. Sie werden versuchen, sich in die „Regierung zu flüchten“. Dazu komme, dass Laschet gar keine andere Wahl habe, in der Opposition würde er nicht überleben, in Berlin würde er sofort „geschreddert“.
"Wahl der Mitte"
Prinzipiell spricht der Politologe von einer „Wahl der Mitte“, die Ränder seien nicht gestärkt worden, im Fall der Linken arg geschwächt: „Sie musste viel Blut spenden an die SPD.“ Merkel führt zwei weitere Gründe ins Treffen: Dass die Parteiführung die populäre Figur Sahra Wagenknecht beiseitegeschoben habe, sei nicht hilfreich gewesen; zudem „stirbt der Linken im Osten das Klientel weg“. Der rechte Rand sei zwar nicht gewachsen, habe sich aber mit rund zehn Prozent stabil halten können. Die hohe Zustimmung für die AfD in Sachsen oder Thüringen etwa sei „beunruhigend“. „Da geht es nicht mehr nur um Protest“, so Merkel, „da hat sich eine Stammwählerschaft aus Überzeugung gebildet.“ Walter Friedl
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