Deutlich weniger Flüchtlinge in Italien – woran das liegt

Macron lädt zum Miniflüchtlingsgipfel nach Paris. Zuletzt war die Zahl der in Italien ankommenden Flüchtlinge zurückgegangen - das sei kein Resultat der europäischen Politik, sagen Experten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lädt heute zum Minigipfel nach Paris: Wie schon so oft zuvor geht es darum, die Flüchtlingsströme nach Europa einzudämmen. Von europäischer Seite mit dabei sind die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihre Amtskollegen aus Italien und Spanien, Paolo Gentiloni und Mariano Rajoy, und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Außerdem sind noch die Staatschefs jener drei afrikanischen Staaten eingeladen, die entlang der Migrationsroute nach Europa liegen: die Staatschefs der Saharastaaten Niger und Tschad, Idriss Deby und Mahamadou Issoufou, sowie der Ministerpräsident der international anerkannten Übergangsregierung in Libyen, Fajis al-Sarraj.

Lage in Libyen instabil

Vor allem Libyen steht als wichtiges Transitland im Fokus europäischer Versuche, die Migration zu bremsen. An der Zusammenarbeit gibt es wegen der instabilen politischen Lage in dem Bürgerkriegsland aber auch viel Kritik.

Hilfsorganisationen werfen Libyen unter anderem vor, ihre Arbeit zu behindern. Die Regierung in Tripolis hatte vor zwei Wochen angekündigt, eine Sperrzone vor der eigenen Küste einzurichten. Die meisten Hilfsorganisationen setzten daraufhin ihre Seenotrettung für Flüchtlinge im Mittelmeer aus.

Macrons Engagement in Libyen

Durch die Unterstützung Europas verspricht sich der französische Präsident eine Kontrolle der Migrationsströme. Fajis al-Sarraj war dafür laut Zeit online schon Ende Juli in Paris zu Gast. Damals hatte Macron zwischen den wichtigsten libyschen Bürgerkriegsparteien vermittelt – für eine Waffenruhe und die Abhaltung von Wahlen.

Kurz darauf hatte Macron dann zunächst verkündet, noch in diesem Sommer Registrierungsstellen für Flüchtlinge in Libyen – sogenannte Hotspots - eröffnen zu wollen - mit der EU oder eben allein. Damit sollten Menschen ohne Chancen auf Asyl von der gefährlichen Überquerung des Mittelmeers abgehalten werden. Die Relativierung dieses Vorschlags folgte im Anschluss: Die Einrichtung solcher Hotspots sei in Libyen aus Sicherheitsgründen derzeit nicht möglich, teilte der Elysee-Palast mit.

120.000 Menschen kamen über das Mittelmeer

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration sind in diesem Jahr bisher mehr als 120.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa gekommen, knapp 100.000 davon laut UNHCR nach Italien.

Es kommen weniger Flüchtlinge

In den Sommermonaten Juli und August ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Italien über das Mittelmeer angekommen sind, allerdings deutlich zurückgegangen. Im Vergleich zum Vorjahr erreichten allein in diesem Monat knapp 90 Prozent weniger Flüchtlinge die italienische Küste, wie aus Zahlen des italienischen Innenministeriums hervorgeht. Bis zum 25. August kamen demnach 2.932 Migranten in Italien an, im Jahr zuvor waren es 21.294 Flüchtlinge.

Deutlich weniger Flüchtlinge in Italien – woran das liegt
Ob es sich um eine anhaltende Entwicklung handelt, ist mehr als fraglich. Die libysche Küstenwache führt den Rückgang vor allem auf intensivere Kontrollen im Mittelmeer zurück. Zudem hätten sich mehrere private Rettungsboote zurückgezogen, wodurch sich weniger Schmuggelboote auf den Weg machen würden, sagte ein Sprecher der libyschen Küstenwache. Experten sehen darin allerdings weniger einen Erfolg der libyschen Küstenwache und der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Mattia Toaldo, Libyenexperte des European Council for Foreign Relations (ECFR), vermutet vielmehr eine mächtige libysche Miliz, die Interesse daran hat, Flüchtlinge am Ablegen in Libyen zu hindern.

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Was bringt der Gipfel?

Für den EU-Experten Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin steht die kurzfristige Reduktion der Flüchtlingszahlen in Italien auf unsicheren Füßen. Aus Sicht der italienischen Regierung und anderer europäischer Länder - auch in Hinblick bevorstehender Wahlen – erscheint ein Zeitgewinn aus einem politischen Kalkül heraus aber wohl sinnvoll, sagt Bossong im Gespräch mit dem KURIER. Ob die Entwicklung langfristig hält sei aber ungewiss, abgesehen davon, dass derzeit keine Besserung der Situation für Flüchtlinge in Libyen sichergestellt würde.

Bossong hegt jedenfalls die leise Hoffnung auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen Spanien, Italien und Frankreich durch den Gipfel. In der Vergangenheit hatte diese nicht wirklich stattgefunden.

Merkel sagt Libyen weitere Hilfe zu

Auch die deutsche Bundeskanzlerin setzt auf Libyen. Merkel hat dem Land im Vorfeld des Pariser Gipfels Unterstützung in Aussicht gestellt. Die Kanzlerin sagte der Welt am Sonntag, sie wolle die libysche Küstenwache "mit den notwendigen Geräten ausstatten", damit sie ihre Arbeit tun könne.

Auch Italien setzt verstärkt auf ein Engagement in Libyen und unterstützt Kommunen im Land.

Unterstützung für Libyen – ein zweischneidiges Unterfangen

Die Unterstützung des durch Bürgerkrieg instabilen Landes ist eine zweischneidige Angelegenheit. Hindert man Flüchtlinge an der Überfahrt, sitzen sie im Land fest. Die Zustände in den dortigen Flüchtlingslagern sind katastrophal, Gewalt steht an der Tagesordnung. Darauf verweisen auch Kritiker dieser Politik, darunter NGOs, aber auch Experten der UNO.

Die Organisation Pro Asyl übt scharfe Kritik an Deutschlands Zusammenarbeit mit dem nordafrikanischen Land. Pro Asyl rief die Kanzlerin auf, die Zusammenarbeit mit Libyen zu beenden. In den Flüchtlingslagern des Landes seien "Folter, Vergewaltigung und schwerste Menschenrechtsverletzungen" an der Tagesordnung. Die Organisation verwies zudem auf eine Untersuchung der UNO, die Verbindungen zwischen der libyschen Küstenwache und kriminellen Netzwerken belege.

Zwei Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen hatten angesichts der bisherigen Entwicklungen Alarm geschlagen: "Die Lösung kann nicht sein, den Zugang zu internationalen Gewässern zu verhindern", kritisierten Felipe Gonzalez Morales und Nils Melzer in einem Bericht. Die beiden Sonderberichterstatter drückten ihre Sorgen aus, dass die EU versuche, die europäischen Grenzen nach Libyen zu verlagern.

Ein Expertengremium des UN-Sicherheitsrates zeigte in einem ebenfalls erst kürzlich erschienen Bericht unter anderem die Verwicklungen zwischen Milizen, Schmugglern und der von europäischen Staaten unterstützten libyschen Küstenwache auf.

Angesichts des Chaos in Libyen und der Hunderten rivalisierenden Milizen fragen sich sowohl Experten als auch EU-Institutionen, wie lange die Überfahrten Richtung Europa noch auf solch einem niedrigen Stand bleiben.

Bei einem Gipfeltreffen in Rom hat sich Italien mit Libyen, Niger, Tschad und Mali über die Einrichtung einer Task Force geeinigt. Sie soll Strategien im Kampf gegen Menschenhandel entwickeln und Hilfsprogramme in Afrika fördern. Die Meeres- und Landesgrenzen in Afrika sollen besser geschützt werden, hieß es in einer Presseaussendung des Innenministeriums in Rom.

Die Internationale Migrantenorganisation (IOM) und das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) sollen bei einem Plan zur Einrichtung von Flüchtlingszentren in Niger und im Tschad eingebunden werden. In Libyen sollen die bestehenden Aufnahmezentren für Geflüchtete an internationale humanitäre Standards angepasst werden. Hinzu soll mit EU-Hilfe die freiwillige Rückführung afrikanischer Migranten gefördert werden, die Europa bereits erreicht haben.

Nachdem Innenminister Marco Minniti Anfang August einen intensiven Austausch mit den Bürgermeistern von 14 libyschen Städten begonnen hatte, soll ein ähnlicher Dialog auch mit Stadtchefs aus dem Tschad, Niger und aus Mali aufgenommen werden. Rom bekräftigte auch die Notwendigkeit, die libysche Küstenwache aufzustocken und Libyen bei der Schaffung einer Grenzpolizei zu unterstützen. "Besonders wichtig sind außerdem Initiativen für die Entwicklung einer lokalen Wirtschaft, die als Alternative zum illegalen Handel dienen soll", hieß es in der Presseaussendung des Innenministeriums.

Die Zusammenarbeit mit Libyens Küstenwache zur Bekämpfung des Menschenhandels habe bisher positive Resultate gezeigt, wie die stark rückgängige Zahl der Ankünfte in Italien seit Juli bezeuge.

Deutschland und Ägypten wollen enger zusammenarbeiten

Bei der Bekämpfung der illegalen Migration wollen außerdem Deutschland und Ägypten enger zusammenarbeiten. Wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin mitteilte, wurde nach mehrmonatigen Verhandlungen eine politische Vereinbarung unterzeichnet, die eine Reihe von Maßnahmen vorsieht.

Dazu gehörten eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Hilfen für den ägyptischen Bildungssektor, um damit Fluchtursachen zu bekämpfen. Ferner wurden den Angaben zufolge zusätzliche Stipendien vereinbart, um Ägyptern ein Studium in Deutschland zu ermöglichen, aber auch eine verbesserte Zusammenarbeit bei der Rückführung von Flüchtlingen sowie eine Aufklärungskampagne, die vor den Gefahren der illegalen Migration warnt. Seibert sprach von einem "ersten Schritt zu einer vertieften migrationspolitischen Zusammenarbeit".

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