Niederlande: Ein Drittel aller Bauernhöfe fürchtet das Aus
Blau-weiß-rot – die niederländische Fahne steht Kopf. Entlang der Autobahnen, quer durchs Land flackert sie im Wind, die umgedrehte Flagge, Zeichen des Protests der niederländischen Bauern. Sie sind wütend.
„30 Jahre lang haben wir alles richtig gemacht“, ärgert sich auch Geertjan Klosterboer. „Da hieß es von Seiten der Regierung: wachsen, wachsen, wachsen, mehr produzieren, effizienter sein. Und jetzt plötzlich sollen wir Bauern allein an allem schuld sein?“
Im frisch renovierten Stall des 44-jährigen Klosterboer stehen 130 Milchkühe. Auch der Boden ist neu, einer, der vermeintlich die Stickstoffemissionen senkt. „Als ich den Hof von meinem Vater übernommen habe, wollte ich was Gutes tun. Ich wollte dazu beitragen, die Stickstoffwerte zu senken“, erzählt der für alle Umweltbedenken aufgeschlossene Landwirt.
Doch vergeblich. Die Stickstoffbelastung hat sich nicht verringert – nicht auf Klosterboers Bauernhof und auch nicht im ganzen Land. Das stellt die Niederlande vor gewaltige Probleme. Und sie wachsen sich, wie Premier Mark Rutte eingestand, zur größten Krise seiner mittlerweile 12-jährigen Amtszeit aus.
Hinterherhinken bei Naturschutz
Der Paukenschlag kam mit einem Urteil des niederländischen Höchstgerichtes vor drei Jahren: Die Grenzwerte der in der EU geltenden Naturschutzrichtlinien, von denen die Niederlande meilenweit entfernt sind, seien einzuhalten. Worauf die Regierungskoalition auf den Autobahnen zunächst ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern einführte und unzählige Bauprojekte stoppte. Doch das reichte nicht.
Jetzt sind die Bauern dran: Bis 2030 müsse die niederländische Landwirtschaft ihren Stickstoffausstoß halbieren, der Viehbestand um ein Drittel verringert werden, gab Den Haag als Ziel aus.
Dörfersterben
„Wenn ich ein Drittel meiner Kühe aufgeben muss, habe ich ein Drittel weniger Einkommen. Und wer zahlt dann meine Rechnungen?“, fragt Geertjan Klosterboer. „Viele Bauern werden sowieso aufhören, weil ihre Kinder den Hof nicht übernehmen. Aber man kann doch nicht einfach hergehen und die Höfe zwangsschließen! Wenn die Regierung das macht, werden ganze Dörfer hier sterben“, warnt der Jungbauer.
Viel radikalere Landwirte als Klosterboer greifen dagegen immer wieder zu groberen Mitteln. Mit ihren Traktoren blockierte die „Farmers Defence Force“ schon mehrmals Autobahnen, kippte Mist und Gülle auf die Straßen, zündete Heuballen an und drohte mit Rebellion. An Politik glauben diese wütenden Bauern nicht mehr, nur noch an Protest.
Export-Großmeister
Seit Jahren hat sich der Konflikt aufgeschaukelt: Auf der einen Seite steht die hyper-effiziente niederländische Landwirtschaft. Nach den USA ist das kleine Land der zweitgrößte Agrarexporteur der Welt. Es produziert etwa doppelt so viel Käse pro Kopf wie Frankreich.
Das Problem dabei: Das mit 17 Millionen Einwohnern dichtest besiedelte Land Europas hat auch die größte Viehdichte der Welt. 11,4 Millionen Schweine, 3,8 Millionen Rinder – insgesamt 116,5 Millionen Tiere (mit Hühnern).
Die finden sich zum Teil in Megaställen mit rund 30.000 Schweinen wieder, aufgeschlichtet in mehreren Stockwerken. Wer mit dem Auto vorbeifährt, riecht den Gestank schon von Weitem.
"Komplettes Chaos"
„Der Bau von Megaställen ist noch immer nicht verboten“, ärgert sich Johan Vollenbroek, „es ist ein komplettes Chaos. Die Regierung ist nicht mit Ernst bei der Sache, den Viehbestand zu reduzieren.“ Vor fast 30 Jahren hat der Biochemiker und selbst Sohn eines Landwirtes die NGO Mobilisation gegründet.
Die führt ihre Umweltkämpfe ausschließlich über Gerichte, klagt gegen Lizenzvergaben und Umweltsünder. „An die 250 Verfahren sind derzeit anhängig“, schildert Vollenbroek – eine davon gegen eine geplante, neue Riesenschweinefarm im Süden des Landes. „Die einzige Lösung unseres Stickstoffproblems liegt darin“, sagt der Umweltaktivist, „den Viehbestand um 50 Prozent zu reduzieren, langfristig sogar um 70 Prozent.“ Dass dies viele Höfe nicht überleben werden, muss er nicht dazusagen.
Der Mist bleibt zurück
Doch Tatsache ist: Auch wenn die ertragreiche niederländische Agrarindustrie mit Exporten jährlich rund 100 Milliarden Euro umsetzt, bleibt im Land, was sich eben nicht ausführen lässt: Der Mist, Ammoniak aus der Gülle, das die Luft verschmutzt, und der Stickstoff in den Böden und im Wasser.
24 Milliarden Euro stellt die Regierung bereit, um die 3.000 größten Stickstoffsünder des Landes aufzukaufen und zu schließen – die große Mehrheit davon landwirtschaftliche Betriebe. Zusperren? Enteignen?
Sieg der Bauernpartei
Das trieb die Bauern erst recht auf die Barrikaden – und ihre Revolte schlug sich bei den Regionalwahlen in einem erdrutschartigen Sieg für eine neue Protestpartei nieder.
Die „BauerBürgerBewegung“ holte aus dem Stand die Mehrheit der Stimmen in allen zwölf Provinzen des Landes. 1,5 Millionen Wähler stimmten für die BBB, obwohl nur rund 600.000 Niederländer im Agrarsektor beschäftigt sind.
Dem Widerstand der Bauern hätten sich auch Bevölkerungsschichten angeschlossen, die die Regierung und die städtischen Eliten als „bürokratisch, technokratisch und arrogant empfinden“, schildert der mit den Bauernprotesten vertraute Journalist Karel Smouter.
Die politisch erstarkten Bauern werden Den Haag jetzt ihren Stempel aufdrücken. Ob die Regierung dann der radikalen Senkung der verheerend hohen Stickstoffbelastung näher kommt, ist offen. „Aber es ist jetzt wirklich dringend“, beharrt Smouter, „und drei von vier Bauern sagen auch, dass sie etwas ändern und verbessern wollen. Aber sie brauchen Hilfe – und keine Drohung, dass sie zusperren müssen.“
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