Debatte in Deutschland: Föderalismus als Sicherheitsrisiko?

Debatte in Deutschland: Föderalismus als Sicherheitsrisiko?
Die Forderung de Maizieres, den Bund mit mehr polizeilichen Kompetenzen auszustatten, berührt eine essentielle Frage der Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland. Und sie ist überfällig. Eine Analyse.

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere hat mit seinem Vorstoß für ein neues Sicherheitskonzept mächtig Staub aufgewirbelt. Nicht nur die SPD schäumt ob der angedachten Ausweitung der polizeilichen Kompetenzen des Bundes und der Bündelung des Landesverfassungsschutzes in Berlin. Auch von der Schwesterpartei CSU kommt Kritik.

Denn es geht ums Eingemachte – de Maizieres Vorschlag berührt das deutsche Grundgesetz, das den starken Föderalismus auch in der Sicherheitspolitik verwirklicht. Soll heißen: 16 eigene Landeskriminalämter, 16 Ämter für Verfassungsschutz und 16 Polizeibehörden teilen sich in Deutschland die Sorge um die innere Sicherheit. Dem Bund bleiben vor allem Spezialaufgaben wie der Grenzschutz (dazu kommt etwa das GSG 9, das Bundeskriminalamt BKA und der Bundesnachrichtendienst).

De Maizieres Sicherheitskonzept

Der Grund für die strikte Trennung ist historisch begründet. Die Aufspaltung in Länderbehörden sollte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg putschsicher machen. Dafür gab es im Mai 1949, als das Grundgesetz beschlossen wurde und Ostdeutschland noch von der Sowjetunion besetzt war, gute Gründe.

Debatte in Deutschland: Föderalismus als Sicherheitsrisiko?
German Interior Minister Thomas de Maiziere addresses a press conference in Berlin on December 23, 2016 after Tunisian Anis Amri, the suspected Christmas market attacker, was killed when he opened fire on Italian police in Milan. / AFP PHOTO / Tobias SCHWARZ

Fast 70 Jahre später sieht nicht nur Innenminister de Maiziere die Zeit gekommen, den verstaubten deutschen Sicherheitsapparat zu hinterfragen. 16 Landespolizeibehörden bedeuten aktuell nämlich auch 16 verschiedene IT-Systeme. Der Datenaustausch funktioniert überhaupt nicht. Oder, um es mit den Worten von André Schulz, dem Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, zu sagen: "Alle Behörden benutzen inkompatible IT-Systeme und leisten sich einen teilweise rudimentären Informations- und Datenaustausch." Schulz sieht den (im Grundgesetz verankerten) Föderalismus in seiner jetzigen Form deshalb als Sicherheitsrisiko.

Wobei das Grundgesetz natürlich nicht verbieten würde, einheitliche IT-Systeme einzuführen. Die Debatte um den mangelnden Datenaustausch beschäftigt Deutschland ohnedies schon länger. Als Koordinierungsstelle wurde 2004 zwar das GTAZ – das Gemeinsame Terrorismus Abwehr Zentrum – ins Leben gerufen. Dort sind alle Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes vertreten - und doch wurde ihnen im Fall des Berliner Weihnachtsmarktattentats ihre Grenzen aufgezeigt. Insgesamt sieben Mal soll Anis Amri dort Thema gewesen sein, ohne dass daraus Konsequenzen gezogen worden wären.

Auch bei den NSU-Morden kam es zu Ermittlungspannen durch mangelnden Abgleich der Ergebnisse. Bereits im Dezember 2015 kündigte der damalige Berliner Justizsenator Thomas Heilmann deshalb eine Vereinheitlichung der IT-Systeme der Polizeibehörden an. Voraussichtliches Jahr der Fertigstellung aus damaliger Sicht: 2030.

Frage nach Datenaustausch auf europäischer Ebene

Dazu kommt der mangelnde Datenaustausch auf europäischer Ebene, der von dieser Frage noch gar nicht berührt ist. Dabei liegt auch der im Argen, oder dient - je nach Betrachtungsweise - zum Schutz der Bürgerrechte, indem er nämlich einfach nicht funktioniert. In die europäische Datenbank Eurodac speisen eigentlich alle Länder Daten von Asylwerbern ein. Zu welchen Verwirrungen das führen kann, zeigte zuletzt aber der Fall des Freiburg-Mordes, der deutschlandweit für Schlagzeilen sorgte.

Der Verdächtige, ein Flüchtling aus Afghanistan namens Hussein K., war seit 2013 mit Fingerabdrücken und Personalien im Eurodac-System gespeichert gewesen sein – sagten die griechischen Behörden. Verurteilungen oder Fahndungsmaßnahmen seien jedoch nicht gespeichert gewesen, hieß es aus dem deutschen Bundesinnenministerium - was auch gar nicht vorgesehen ist. Der Afghane wurde in Griechenland wegen versuchter Tötung zu zehn Jahren Haft verurteilt, aber nach eineinhalb Jahren entlassen. Seine Meldeauflagen hielt er nicht ein, deswegen schrieben die griechischen Behörden ihn national zur Fahndung aus. Ein Fahndungsaufruf in den Systemen von Interpol oder dem Schengener Informationssystem der EU unterblieben dagegen. Sprich: Während die griechischen Behörden wussten, dass es sich bei Hussein K. um einen vorbestraften Gewaltverbrecher handelte, tappten die deutschen Behörden im Fall Freiburg lange im Dunkeln.

"Terroristen finden Föderalismus gut"

Dass er für seinen nunmehrigen Vorstoß, der Bundespolizei mehr Kompetenzen - besonders was die Abschiebung von Flüchtlingen betrifft - zu verschaffen, vor allem von den Ländern kritisiert wird, überrascht nicht. Auch die CSU in Bayern, wo die Polizei über einen hervorragenden Ruf verfügt, äußerte ihre Bedenken.

Abseits vom Datenaustausch sorgt aber vor allem de Maizieres Forderung den Verfassungsschutz, aktuell so etwas wie eine Dachorganisation der 16 Landesbehörden ohne Weisungsbefugnis, zu zentralisieren für empörte Reaktionen. De Maiziere plane eine Berliner Monsterbehörde, heißt es da. Die De-facto-Abschaffung der Landesbehörden würde einen Verlust von Know How bedeuten. "Eine Auflösung des bayerischen Amtes für Verfassungsschutzes wird niemals kommen", verlautete CSU-Chef Horst Seehofer denn auch am Mittwoch. Der Vorschlag de Maizieres sei eine "Spontanüberraschung" gewesen, sagte der bayerische Ministerpräsident, betonte aber, dass es eine Reihe von Themen in der Sicherheitspolitik gebe, bei denen Bund und Länder sehr wohl enger zusammenarbeiten müssten.

"Terroristen finden Föderalismus gut", kommentierte hingegen die Westfalenpost. "Es geht darum, wirksame Werkzeuge gegen den Terrorismus zu entwickeln. Menschen, die uns schaden wollen, lachen über Kleinstaaterei." Im Angesicht der Bedrohung durch Terrorismus stellt sich für Deutschland so eine unerwartete Gretchenfrage – wie hat man’s mit dem Föderalismus? Die Absichten waren herzlich gut, allein die Zeiten haben sich geändert.

Um seine vorgeschlagenen Änderungen - letztlich eine Föderalismusreform - durchzusetzen, ist de Maiziere freilich auf die Unterstützung der Länder angewiesen. Ermutigende Signale gab's am Mittwoch aber nur von der Kanzlerin. "Grundsätzlich" unterstütze sie den Innenminister in dieser Frage "ausdrücklich". Die Vorschläge müssten nun "mit allen, die es betrifft", besprochen werden, ließ Merkel von Vizeregierungssprecher Georg Streiter ausrichten.

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