Deal mit der Türkei: Geld für Flüchtlingsstopp

Gipfeltreffen in Brüssel.
Die Zusage von drei Milliarden Euro für zwei Jahre steht. Erdoğan schwänzte das Spitzentreffen.

In einer gepanzerten schwarzen Limousine fuhr Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu beim Ratsgebäude vor. Hinter ihm ein Tross von Mitarbeitern und Experten. Bereitwillig gab er den Medienvertretern Auskunft, er sprach von einem "historischen Tag" und einem Treffen, das "wichtig für die Zukunft der Türkei und der EU ist". Es gehe nicht nur um Flüchtlingsfragen, sondern um "die Beitrittsverhandlungen und um eine neue Partnerschaft". Der Politiker der rechtsnationalen islamischen AKP genoss seine Bedeutung und die Schlüsselrolle seines Landes.

Wegen des Konflikts mit Russland und innenpolitischen Problemen ließ Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan seinem Premier den Vortritt. Als Affront wurde das von den EU-Granden nicht empfunden. Künftig soll es mindestens zwei Gipfeltreffen pro Jahr mit der Türkei geben.

Keine Weicheier

Als Weicheier wollten die EU-Spitzen am Sonntag auch nicht dastehen. Deswegen stand im Zentrum der Gipfelgespräche ein Aktionsplan, der genau die Pflichten der Türkei festlegt und nicht nur die Hilfen der EU. So erklärte sich die Regierung in Ankara unter anderem dazu bereit, seine Küsten besser zu schützen und gegen Schlepper vorzugehen.

Deal mit der Türkei: Geld für Flüchtlingsstopp
Austrian Chancellor Werner Faymann (L), Turkish Prime Minister Ahmet Davutoglu (C) and German Chancellor Angela Merkel (R) talk before a group photo at an EU-Turkey summit, in which the EU seeks Turkish help to slow the influx of migrants into southeastern Europe, in Brussels, Belgium November 29, 2015. REUTERS/Yves Herman
Vor dem offiziellen Gipfelbeginn gab es ein Treffen der gutwilligen Länder (die Nettozahler plus Griechenland), die bereit sind, die Türkei finanziell bei der Flüchtlingsunterbringung mit drei Milliarden Euro zu unterstützen, die Visa-Liberalisierung mit Anfang 2017 zu gewähren und die Beitrittsverhandlungen zu forcieren.

"Wichtig ist, dass die Türkei die Schlepperkriminalität stoppt, die Grenzen sichert und Wirtschaftsflüchtlinge zurücknimmt", sagte Bundeskanzler Werner Faymann. Seine Aussage im Interview mit dem Sonntags-KURIER, der Türkei genau auf die Finger zu schauen, wurde in Brüsseler Beamten- und Medienkreisen mit großem Interesse verfolgt.

Davutoğlu wurde von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen EU-Spitzen hofiert. Eines konnten sie ihm nicht fix sagen: Wie viele Flüchtlinge die EU von der Türkei legal aufnimmt, wie hoch also das Kontingent ist. Die Gipfelerklärung enthält keine konkreten Zusagen zur Aufnahme von Flüchtlingskontingenten aus der Türkei. Unterstrichen wird aber "die Bedeutung der Lastenteilung innerhalb des Rahmens der Türkei-EU-Kooperation", nachdem die Türkei mehr als 2,2 Millionen Syrer beherbergt und schon rund 7,5 Milliarden Euro seit 2011 ausgegeben hat. In diesem Kontext unterstreicht der Gipfel den Beitrag der EU-Staaten durch bestehende Umverteilungs-Programme ("Resettlement").

Kopfschütteln

Mit Kopfschütteln wurde unter den 28 Staats- und Regierungschefs das Beharren der Slowakei quittiert, gegen die Quote, die Aufteilung der Flüchtlinge auf alle Mitgliedsländer, beim Europäischen Gerichtshof zu klagen.

Bis zuletzt wurde darüber verhandelt, wie die von der Türkei geforderte Summe von drei Milliarden Euro, die fix zugesagt wurden, aufgebracht werden könne. Juncker will 500 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt zur Verfügung stellen. Merkel will, dass die gesamte Summe aus den Fördertöpfen der EU kommt. Das solle im Übrigen jene aus Osteuropa treffen, die nicht bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Polen, Balten, Slowaken, Ungarn, Rumänen und Bulgaren haben die Botschaft gehört, sie schwiegen aber beharrlich.

Razzien in Redaktionen, Zensur, willkürliche Verhaftungen: Die türkische Regierung verschärft ihren Kurs gegen kritische Medien im Land zunehmend. Der EU-Sondergipfel ist jetzt Anlass für zwei vor wenigen Tagen verhaftete Journalisten der bekannten Tageszeitung Cumhuriyet, sich an die deutsche Kanzlerin Merkel und andere EU-Regierungschefs zu wenden. In einem offenen Brief bitten sie um Solidarität. Sie hofften, dass der Wunsch nach einer Lösung in der Flüchtlingskrise Merkel nicht davon abhalten werde, "weiterhin die westlichen Werte wie Bürgerrechte, Meinungs- und Pressefreiheit hochzuhalten und sie zu verteidigen", schrieben die prominenten Journalisten aus ihrer Untersuchungshaft.

Den beiden werden unter anderem Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Spionage vorgeworfen. Hintergrund ist ein Bericht vom Sommer über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte persönlich Anzeige erstattet.

Davutoglus Regierung, so die beiden Autoren, lasse "jede Achtung und jeden Respekt für die Meinungs- und Pressefreiheit vermissen". Weiter heißt es: "Wir sind verhaftet worden, weil wir unser Recht auf Meinungsfreiheit in Anspruch genommen haben und weil wir die Informationsfreiheit der Öffentlichkeit verteidigen."

Unterdessen muss sich ein weiterer türkischer Journalist wegen Beleidigung Erdogans in einer Kolumne vor Gericht verantworten. Ihm drohen bis zu fünf Jahre und vier Monate Haft.

In der eigentlichen Erklärung des Gipfels wurden der Türkei eine Reihe von Zugeständnissen gemacht. Ein Überblick:

Neues Beitrittskapitel

In den seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wurden bisher 14 von 35 sogenannten Verhandlungskapitel eröffnet, in denen die EU-Standards für eine Mitgliedschaft nach Themenbereichen festgelegt sind. Der Gipfel beschloss nun, zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder einen neuen Bereich anzugehen. Kapitel 17 über die Wirtschafts- und Währungspolitik solle auf einer Regierungskonferenz am 14. Dezember eröffnet werden, heißt es in der Erklärung. Zur Kenntnis nehmen EU und Türkei, dass die EU-Kommission im ersten Quartal 2016 die Vorarbeiten zur Eröffnung weiterer Kapitel abschließen will. Eine Vorentscheidung stelle dies aber nicht dar.

Visa-Liberalisierung für Flüchtlingsrücknahme

Ein bereits vereinbartes Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge soll im Juni 2016 vollständig in Kraft gesetzt werden. Damit könnte die EU Flüchtlinge aus Drittstaaten in die Türkei abschieben. Die EU-Kommission soll im Gegenzug im Herbst einen Fortschrittsbericht zur Visa-Liberalisierung vorlegen. Seien alle Voraussetzungen durch Ankara erfüllt, würden "bis Oktober 2016 im Schengen-Gebiet alle Visa-Erfordernisse für türkische Bürger aufgehoben".

Unterstützung für Flüchtlinge in der Türkei

Um rund 2,2 Millionen in der Türkei lebenden Flüchtlingen aus Syrien bessere Lebensperspektiven zu geben, wollen die Europäer eine "anfängliche" Summe von drei Milliarden Euro bereitstellen. Das Geld soll in konkrete Projekte wie den Bau von Schulen fließen. Offen ist noch die Finanzierung. Der Plan, dass die Mitgliedstaaten 2,5 Milliarden Euro aus ihren nationalen Kassen beisteuern, stößt weiter bei mehreren EU-Regierungen auf Widerstand. Mit der Frage sollen sich nun die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen am 8. Dezember befassen.

Umsiedlung von Flüchtlingen von der Türkei in die EU

Hierzu wird in der Gipfel-Erklärung lediglich auf "bestehende EU-Umsiedlungspläne- und programme" verwiesen - in der EU gibt es aus dem Sommer eine Vereinbarung zur Aufnahme von gut 20.000 Menschen. Vor dem Gipfel kam Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Kollegen mehrerer EU-Länder - darunter auch aus Österreich - zusammen, um auch über einen Ausbau der legalen Migration zu sprechen. Um konkrete Aufnahmekontingente für in der Türkei lebende Flüchtlinge ging es Merkel zufolge aber noch nicht.

Regelmäßige Gipfel

"Beide Seiten einigen sich darauf, zwei Mal im Jahr regelmäßige Gipfel abzuhalten", heißt es in der Gipfelerklärung. Auch Dialog und Zusammenarbeit zu Außen- und Sicherheitspolitik sowie das Vorgehen gegen Terrorismus sollten verbessert werden. Hierzu soll es regelmäßig Treffen auf Ministerebene und mit der EU-Kommission geben. Ende 2016 sollen zudem Gespräche über eine vertiefte Zollunion aufgenommen werden.

Martin Trauth/AFP

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