Für Milliarden soll Türkei Flüchtlinge im Land behalten

Das Kalkül der EU: Nehmt das Geld und behaltet die Flüchtlinge.
EU-Türkei-Gipfel am Sonntag: Bis zuletzt wurde gestritten, wie viel der Flüchtlingsdeal kostet.

Kommt Recep Tayyep Erdoğan als Überraschungsgast – oder nicht? In Brüssel ist das ein großes Geheimnis, die Sicherheitsvorkehrungen rund um das EU-Viertel sind aber mindestens so massiv wie bei den Anti-Terrormaßnahmen vor einer Woche.

Egal, ob der mächtige Staatspräsident aus der Türkei anreist oder nicht, alles dreht sich jedenfalls um sein Ja zu einem Flüchtlingsabkommen. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht ihn seit Wochen davon zu überzeugen.

Dabei ist das Kalkül der EU ganz einfach: Nehmt das Geld und behaltet die Flüchtlinge. Doch wer für das Geld aufkommt – drei Milliarden Euro pro Jahr verlangt die Türkei –, darüber wurde innerhalb der EU sowie zwischen den Verhandlern aus Brüssel und Ankara bis zuletzt heftig gestritten. Die EU-Partner wollen die genannte Summe auf zwei Jahre erstrecken.

Kleiner Rache-Akt

Deutschland fordert, dass das Geld zur Gänze aus einem EU-Topf bezahlt wird, der für Notfälle in der Landwirtschaft und in der Regionalpolitik reserviert ist. Von diesen Mitteln profitieren in erster Linie die EU-Mitglieder aus Osteuropa, also genau jene Länder, die sich der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern und eine faire Quote ablehnen. "Das ist eine kleine Rache für unsolidarisches Handeln", sagt ein EU-Diplomat süffisant.

Die EU-Kommission will nur 500 Millionen zahlen, der Rest entfiele auf Mitgliedsländer, was Österreich 57 Millionen kosten würde.

Eines hat die EU vorab sichergestellt: Die Türkei bekommt keinen Scheck, sondern das Geld überweist die EU für ausgewählte Flüchtlingsprojekte (Unterkunft, Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt).

Bei den Milliarden allein bleibt es aber nicht: Ankara will außerdem eine rasche Visa-Liberalisierung, eine "Dynamisierung" der Beitrittsverhandlungen und insgesamt politische und wirtschaftliche Beziehungen mit der EU auf Augenhöhe.

Umgekehrt wollen Staaten, die besonders stark vom Flüchtlingsstrom aus der Türkei über die Balkanroute betroffen sind, ein Ende des Migranten-Andranges sowie eine neue EU-Asylpolitik.

Um eine gemeinsame Linie und Strategie zu vereinbaren, treffen sich Sonntagnachmittag um 14 Uhr, zwei Stunden vor dem offiziellen Beginn, die Regierungschefs "gutwilliger" Staaten und Nettozahler zu einem Mini-Gipfel. Das sind Deutschland, Österreich, die Benelux-Länder, Schweden, Finnland sowie Netto-Empfänger Griechenland.

Ostermayer & Altmaier

Die Eckpunkte für ein europäisches Asylsystem haben zuletzt in vertraulichen Gesprächen Kanzleramtsminister Josef Ostermayer und der Flüchtlingskoordinator der deutschen Regierung, Peter Altmaier, verhandelt. Zentral sind die Erstaufnahme- und Registrierzentren (Hotspots), wo entschieden werden soll, ob und wo jemand ein Asylverfahren bekommt. "Wenn diese Menschen einem Land zugeteilt werden, muss klar sein, dass sie nur in dem jeweiligen Land eine Unterstützung bekommen", sagte Ostermayer zum KURIER. Die Unterstützung muss auch überall gleich sein, adäquat angepasst an die Kaufkraft des Landes.

Die Hotspots müssen mit EU-Geldern und Beamten rasch aufgebaut werden. "Wenn diese Hotspots funktionieren, werden dort die Anträge auf Asyl gestellt", betonte der SPÖ-Minister.

Türkische Wunschliste

Hilfe für Flüchtlinge
Drei Milliarden €/Jahr für Essen, Zelte und Schulbildung. In der Türkei leben rund 2,5 Mio. Kriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak. 350.000 leben in Camps, der Rest ist im Land unterwegs. Seit 2011 hat Türkei 7,2 Mrd. € für Flüchtlinge bezahlt.

Visa-Liberalisierung
Ab 2017 soll das Abkommen in Kraft sein. Freies Reisen in die EU ist Prestige-Sache für die Türkei.

Beitrittsverhandlungen
Ankara will mehr Tempo und Substanz. Seit 2005 wird ohne Fortschritte verhandelt.

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