US-Regierung greift auf Daten von Facebook und Google zu
Das Sündenregister des amerikanischen Nachrichtendienstes (NSA) wird zusehends länger: Nachdem am Mittwoch über die massive Abschöpfung von Telefondaten durch den US-Dienst berichtet und damit ein politisches Erdbeben in Washington ausgelöst wurde, enthüllten der Guardian und die Washington Post am Donnerstag, dass die NSA außerdem Zugang zu den Servern von US-High Tech Firmen und Social-Media-Plattformen habe. Den Medienberichten zufolge greift die NSA darüber auf private E-Mails, Fotos, Videos, Dokumente und Audio-Dateien zu.
Sie überwache Chats genauso wie Videokonferenzen und in Clouddiensten gespeicherte Daten. Dadurch sei man in der Lage, die Bewegungen und Verbindungen von Personen über längere Zeiträume hinweg zu verfolgen. Die Unternehmen Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, PalTalk, AOL, Skype, YouTube und Apple sollen ihre Bereitschaft gegen Straffreiheit erklärt haben. In ersten Stellungnahmen wiesen mehrere der Konzerne den Vorwurf zurück. Eine Stellungnahme der US-Regierung lag zunächst nicht vor.
"Nur Daten von Nicht-US-Bürgern"
Der Washington Post liegen nach eigenen Angaben Dokumente und 41 PowerPoint-Vorlagen zu dem bisher streng geheimen Programm vor. Diese seien der Zeitung von einem Geheimdienstmitarbeiter zugespielt worden, der über die nach seiner Sicht grobe Verletzung der Privatsphäre der Nutzer entsetzt gewesen sei. "Die können im wahrsten Sinne des Wortes sehen, wie Sie beim Tippen Ihre Gedanken ausformulieren", wurde der Insider zitiert. Wer als Kongress-Abgeordneter von dem Programm wisse, unterliege einer Schweigepflicht.
Wikileaks-Gründer Julian Assange kritisierte die Geheimhaltung der Überwachungsprogramme. "Natürlich müssen Regierungen alles Mögliche machen. Aber wenn es richtig gemacht wird, dann gibt es ein Gesetz und die Bürger kennen es auch", sagte Assange. Zwar müsse nicht jedes Detail der Vorschriften veröffentlicht werden, sagte der 41-jährige Australier. Doch es müssten genug Grundzüge bekannt gemacht werden, "um zu verstehen, was wirklich vor sich geht". Es müsse außerdem möglich sein, derartige Gesetze vor öffentlichen Gerichten zu überprüfen.
In US-Kreisen wurde die Existenz des Programms bestätigt. Ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, der Kongress habe das Programm jüngst "nach ausführlichen Anhörungen und Debatten" verlängert. Laut der Mitteilung des Nachrichtendienstes geht es allerdings nicht um die Überwachung von US-Bürgern, sondern von Ausländern. "Es kann nicht genutzt werden, um direkt US-Bürger zu überwachen", heißt es dort. Grund dafür dürfte auch die Gesetzesgrundlage sein. Diese erlaubt vor allem die Überwachung von Terrorverdächtigen außerhalb der USA.
Präsident Big Brother?
Die Berichte über den Umgang der US-Regierung mit dem Datenschutz kommen für Kritiker nicht überraschend: Obama wurde schon vorher ins Visier genommen, weil sich seine Regierung heimlich Telefon-Daten von Journalisten der Nachrichtenagentur AP und zu E-Mails eines Fox-Fernsehreporters verschaffte. Das Weiße Haus rechtfertigte sich am Donnerstag mit den gleichen Schlagworten wie die Bush-Regierung nach 9/11: Bespitzelung sei "ein kritisches Hilfsmittel, um die Nation vor Terrorismus zu schützen." Spiegel Online spricht am Freitag schon von "Obamas Überwachungsstaat" und "Präsident Big Brother". Auch die Huffington Post schmückte ihre Homepage mit einem Bild von "George W. Obama" (siehe Storify unten).
Der Zeitung zufolge wurde PRISM (dt. "Prisma") 2007 unter Präsident George W. Bush ins Leben gerufen und von dessen Nachfolger Barack Obama ausgebaut. In den vergangenen sechs Jahren sei die Nutzung exponentiell gewachsen und inzwischen die Grundlage für jeden siebenten Geheimdienstbericht. "Die Berichte der NSA stützen sich zunehmend auf PRISM", zitierte die Zeitung aus den Unterlagen. Der Zugang zu den Servern stelle heute die umfangreichste Quelle für die täglichen Berichte des Präsidenten dar. Diese hätten im vergangenen Jahr in 1.477 Einträgen PRISM-Erkenntnisse zitiert.
Microsoft als erster "Partner"
Microsoft nahm 2007 als erster sogenannter "Partner im Privatsektor" am Programm teil, hieß es weiter. Apple verweigerte demnach fünf Jahre lang die Mitarbeit, bevor der Konzern auch beigetreten sei. Zwar sei PalTalk ein deutlich kleinerer Dienst als die anderen. Er sei jedoch während des Arabischen Frühlings und des Bürgerkriegs in Syrien rege genutzt worden. Der Online-Speicherdienst DropBox solle "in Kürze" dazustoßen. Twitter war auf der Liste nicht vertreten.
In ersten Reaktionen erklärten Microsoft, Google, Apple, Facebook und Yahoo, man gewähre keiner offiziellen Stelle einen direkten Zugang zu seinen Servern. Google teilte mit, der Regierung sei nie "eine Hintertür" geöffnet worden. Microsoft erklärte, man leiste nur Anweisungen folge, die sich auf "spezifische Nutzer oder identifizierende Merkmale" bezögen. "Wir haben noch nie von PRISM gehört", sagte ein Apple-Sprecher. Wenn eine Regierungsstelle Zugang zu Nutzerdaten erhalten wolle, müsse sie eine richterliche Anordnung vorlegen. Auf die direkte Frage, ob man am NSA-FBI-Programm teilnehme, lehnte Apple eine weitergehende Stellungnahme ab.
Kritik aus Deutschland: "Totalüberwachung"
Der deutsche Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar forderte am Freitag von seiner Bundesregierung Aufklärung darüber, ob der US-Geheimdienst auch die Kommunikation deutscher Nutzer überwacht habe. Nach den Enthüllungen von „ungeheuerlichen Vorwürfen einer Totalüberwachung" müsse die US-Regierung jetzt für Klarheit sorgen, erklärte Peter Schaar am Freitag. Auch die Bundesregierung müsse sich um Informationen dazu bemühen.
„Angesichts der Vielzahl deutscher Nutzer von Google-, Facebook-, Apple- oder Microsoft-Diensten erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie sich für eine Aufklärung und Begrenzung der Überwachung einsetzt."
Weiterführende Lektüre: Einer der Enthüller des Prism-Skandal ist Glenn Greenwald, ein Anwalt, Blogger und Journalist beim Guardian. Die New York Times hat ihn interviewt.
Seit den Terroranschlägen vom September 2011 versucht die US-Regierung den Zugriff auf internationale Datenbestände auszuweiten. Dazu wurden auch mit der EU Vereinbarungen getroffen. So regelt etwa das 2010 abgeschlossene SWIFT-Abkommen den Zugriff von US-Behörden auf Daten des belgischen Finanzdienstleisters SWIFT, der täglich 15 Millionen Überweisungen zwischen rund 9000 Banken weltweit abwickelt. Im Rahmen des Abkommens können US-Behörden Bankdaten europäischer Bürgern abfragen, die Geld in Länder außerhalb der EU überweisen. Datenschützer beklagen die lange Speicherdauer von fünf Jahren und die mangelhafte Kontrolle der US-Abfragen.
Fluggastdaten
Auch das 2012 vom EU-Parlament abgesegnete Abkommen zur Weitergabe von EU-Fluggastdaten an die USA stieß auf heftige Kritik. Das Abkommen verpflichtet Fluggesellschaften dazu, rund 70 Einzeldaten von EU-Passagieren, die in die USA reisen, an US-Behörden zu übermitteln. Name, Adresse und Kontaktinformationen zählen ebenso dazu wie Kreditkartennummer und die Art der konsumierten Mahlzeiten. Die Daten bleiben 15 Jahre lang gespeichert. Die Verwendung durch die USA ist kaum geregelt. Befürchtet wird, dass die Daten zur Rasterfahndung und zum Profiling herangezogen werden.
Polizeidatenabgleich
Im Alleingang vereinbarte Österreich mit den USA ein Abkommen zum Austausch von Polizeidaten. Die Anfang 2012 vom Nationalrat gebilligte Vereinbarung erlaubt US-Behörden den Zugriff auf heimische Polizeidatenbanken. Sie können etwa Fingerabdruckdateien, DNA-Profile oder personenbezogene Daten von Terrorverdächtigen abfragen. Ein Recht auf Auskunft über die Verwendung der Daten besteht nur sehr eingeschränkt. Die Chancen zu Unrecht Verdächtigter auf Richtigstellung oder Rehabilitierung seien gering, kritisieren Datenschützer.
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