Das Treffen der V-4-Grenzzieher
Ungarns Premier Viktor Orban glaubt, den besten Platz für den nächsten Stacheldrahtzaun in Europa gefunden zu haben: An den bulgarischen und mazedonischen Grenzen zu Griechenland. Das sei deswegen so wichtig, weil die Regierung in Athen Europa im Süden gegen die hohe Anzahl an Flüchtlingen nicht verteidigen könne, so der ungarische Politiker. Montag wird der Plan beim Treffen der vier Mitglieder der sogenannten Visegrad-Gruppe - Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei - in Prag diskutiert.
"Die V-4 ist eine der stärksten regionalen Gruppierungen innerhalb der Europäischen Union."
Obwohl die vier Regierungschefs einander halbjährlich treffen, nahm man in Brüssel von den Ergebnissen nur selten Notiz. Doch angesichts der Verschärfung der Flüchtlingskrise rücken die V-4 wieder enger zusammen und sind sich einiger als je zuvor. Die V-4-Länder fordern einen verstärkten Schutz der EU-Außengrenze und lehnen die seitens der EU beschlossenen Quoten zur Verteilung von Asylsuchenden ab. Außerdem befürworten sie die "Brexit"-Pläne Großbritanniens und die Kürzung der Sozialleistungen für neu eingewanderte EU-Bürger.
Aushängeschild Viktor Orban
Für den tschechischen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka ist die Renaissance der Visegrad-Gruppe Teil einer Erfolgsgeschichte. "Die V-4 ist eine der stärksten regionalen Gruppierungen innerhalb der Europäischen Union", erklärt der Gastgeber vor dem Treffen am Montag. "Es gibt kaum andere Mitgliedsländer, die sich ähnlich intensiv koordinieren."
Für das Wirtschaftsmagazin The Economist gibt die Flüchtlingskrise aber nicht nur der alten Allianz Aufwind, sondern auch den EU-Kritikern und Rechtspopulisten. "Big, bad Visegrad", urteilt das Blatt. Auch weil Orban, der seit den Attacken auf die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo 2015 entschieden gegen muslimische Migranten im eigenen Land vorgeht, als Aushängeschild der ehemaligen Ostblockstaaten gilt. Er sei die lauteste und zugleich fremdenfeindlichste Stimme der Visegrad-Gruppe.
Doch auch der Wahlsieg der nationalkonservativen PiS im vergangenen November in Polen sorgte für ein Wiedererstarken des Bündnisses. Jaroslaw Kaczynski, PiS-Chef, gilt seit Jahren als enger Freund von Viktor Orban, weswegen nicht wenige Kommentatoren von einer "Orbanisierung" Polens sprachen. Was so viel bedeutet wie die Bewahrung des Nationalstaates, keine Einwanderer, keine muslimischen Minderheiten, keine Parallelgesellschaft. Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo sagte, dass man Schutzsuchende in türkischen Flüchtlingscamps unterstützen wird, aber der Zugang zu Europa muss ihnen verwehrt bleiben.
Anti-Merkel-Politik
Die Ministerpräsidenten aus der Slowakei und Tschechien sind in ihrer Rhetorik zwar etwas moderater, unterstützen aber die Positionen ihrer Amtskollegen. So erklärte Robert Fico (Slowakei), dass Mazedonien und Bulgarien beim Schutz des Schengenraums eine Schlüsselrolle haben. "Es ist deshalb völlig egal, ob Griechenland ein Teil von Schengen bleibt oder nicht." Ebenso lehnt Tschechiens Sobotka eine verbindliche Flüchtlingsquote partout ab und fordert eine konsequente Abschottung gegenüber den Flüchtlingen. Was zudem alle eint, ist eine Anti-Merkel-Haltung. Die deutsche Bundeskanzlerin sei wegen ihrer "Willkommenspolitik" für die anhaltenden Flüchtlingsströme verantwortlich, heißt es immer wieder auf Pressekonferenzen der Regierungschefs.
Wegen ihrer Position in der Flüchtlingsfrage wird die Visegrad-Gruppe immer wieder vom UN-Flüchtlingshilfswerk kritisiert. Vor dem Gipfel in Prag hat das UNHCR die vier Regierungsspitzen aufgefordert, eine größere Solidarität jenen Flüchtlingen gegenüber zu demonstrieren, die vor Kriegen flüchteten und versuchten, in Europa Asyl zu finden. Der Aufruf erinnert daran, dass die Länder der Visegrad-Gruppe im Vorjahr insgesamt 25.000 Flüchtlingen ein Zuhause boten, was 0,125 Prozent der weltweit fast 20 Millionen Migranten darstellt.
Brücken bauen, Gräben schließen
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Ziel der vier Mitgliedsländer damals ganz anders ausgesehen hat als heute. Auf den Tag genau vor 25 Jahren hatten sich die Präsidenten Polens, Ungarns und der damaligen Tschechoslowakei, die 1993 in zwei Staaten zerfiel, auf der ungarischen Burg Visegrad getroffen und eine Gründungsurkunde unterzeichnet. Die ursprüngliche Idee der losen Interessengemeinschaft war, dass der Weg nach Brüssel schnellstmöglich geebnet werden soll. Also Brücken bauen - statt Gräben schaffen.
2004 traten alle vier Mitgliedsländer der EU bei, die Plattform blieb weiter erhalten. Doch während der Jahre verlor das Bündnis an Elan, Meinungs- und Interessensunterschiede wie auch Konflikte zwischen Ungarn und der Slowakei prägten das Bild der Visegrad-Gruppe.
Visegrad war in den vergangenen Jahren unwichtig geworden. Man habe verabsäumt, eine neue, große Mission zu definieren, erklärte der Politikwissenschaftler Michal Koran dem ARD. Früher seien es die Probleme nach dem Zerfall der Sowjetunion gewesen, die die Länder einte, so der Professor der Universität in Brünn. Dieser Zusammenhalt war in den vergangenen Jahren immer schwächer geworden.
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