Das barbarische Ritual der Massai
Als die Beschneidung der damals siebenjährigen Tochter anstand, traf deren Mutter eine mutige Entscheidung. Entgegen der Jahrhunderte alten Tradition entschied sie, dass sich Asifiwe der potenziell tödlichen Tortur, bei der die Genitalien der Mädchen verstümmelt werden, nicht unterziehen muss. Und sie überzeugte auch ihren Mann, ein kleines Wunder. Das Leben der heute 23-Jährigen nahm eine dramatische Wende zum Guten – hier im Norden Tansanias.
Der Wind sorgt für eine angenehme Brise in der heißen Trockenzeit und spielt mit dem typischen Massai-Umhang Asifiwes. Im Schatten eines der mächtigen Baobabs (Affenbrotbäume) erzählt die junge Frau ihre einzigartige Geschichte. Wie sie bei den „Schwestern des Grals“ (ein christlicher Nonnen-Orden) in Mwanga Aufnahme fand, eine Top-Ausbildung durchlief und sich jetzt auf ihren künftigen Beruf als Lehrerin an der Uni Arusha vorbereitet.
Angst vor dem Fluch
„Ich bin so froh, dass ich ein normales Leben führen kann“, sagt die zarte Frau, die heute in ihrem Heimatdorf Emuguru im Distrikt Mwanga als „Role Model“ Überzeugungsarbeit leistet, damit die blutige Praxis endlich gestoppt wird. „Leicht ist das nicht“, sagt sie. Anfangs hätten sie die jungen Männer nicht einmal angeschaut, geschweige denn mit ihr geredet. Auch jetzt gibt es noch viele Widerstände – wie der KURIER-Reporter selbst erlebte: Ein 21-Jähriger, befragt, ob er eine nicht beschnittene Frau als Ehepartnerin akzeptieren würde, stützt sich bloß auf seinen Stock, schaut in die trockene und staubige Buschlandschaft und sagt – gar nichts. Und dabei doch so viel.
„Gerade bei der so stolzen Volksgruppe der Massai, die nach wie vor ein sehr ritualisiertes Leben nach strengen Regeln führen, ist die weibliche Genitalverstümmelung noch weit verbreitet“, sagt Grals-Schwester Honorata, „Frauen, die sich dieser Prozedur nicht unterziehen mussten, gelten als unrein und promiskuitiv. Manche werden von ihren Ehemännern sogar wieder weggeschickt, weil der Glaube vorherrscht, sie würden einen Fluch über die Familie bringen.“ Nicht zuletzt deswegen, weil die 76-jährige Nonne das auch in ihrem Verwandtenkreis erleben musste, engagiert sie sich seit Jahren gegen die barbarische Praxis – und wird dabei von der Katholischen Frauenbewegung Österreichs unterstützt.
Kuhblut gegen Blutverlust
Langsam stellen sich Erfolge ein. Landesweit sei die Rate verstümmelter Frauen auf zehn Prozent gesunken, sagt Francis Selasini von der einschlägigen NGO NAFGEM. In manchen Regionen aber, wie hier im Norden Tansanias, liege sie noch bei bis zu 60 Prozent, bei den Massai noch viel, viel höher – obwohl der Staat die „Female Genital Mutilation“ (FGM steht für weibliche Genitalverstümmelung) längst verboten hat.
Aus gutem Grund. „Es gibt immer wieder Infektionen und Blutvergiftungen. Es kommt auch zu massivem Blutverlust, der so schlimm sein kann, dass die Mädchen sterben“, sagt die Ärztin Avelina Kimaryo, 48, eine Mitschwester und Mitstreiterin von Honorata. Später könne es zu schweren Komplikationen bei der Geburt kommen.
Maria Julias betrachtet ihre alt gewordenen Hände, dann sagt sie: „Wir alle haben jetzt unseren Frieden gefunden.“ Die heute 67-Jährige war „Beschneiderin“. Ihr blutiges Handwerk lernte sie von ihrer Mutter, so wie diese es von ihrer Mutter lernte und so fort – über viele Generationen. Im Alter von 15 Jahren schritt sie erstmals zur Tat, vor sechs Jahren zum letzten Mal. „Gestorben ist bei mir niemand“, sagt die Frau, „aber einige Mädchen haben schon viel Blut verloren. Dann haben wir gebetet und ihnen Kuhblut zum Trinken gegeben.“
Eine Ziege oder den Gegenwert in tansanischen Schilling habe sie pro „Eingriff“ bekommen, und pro Jahr sei sie rund 30 Mal gerufen worden. „Dieses Einkommen fehlt jetzt natürlich“, führt Schwester Honorata aus, die deswegen unter anderem Klein-Kreditprogramme initiiert hat, damit sich die ehemaligen Frauen dieser „Zunft“ etwa mit Geflügelzucht über Wasser halten können.
Bildung führt zu Umdenken
Ganz wichtig sei es, so die voller Elan und Esprit agierende Nonne, die Dorfchefs der Massai von der Notwendigkeit des Umdenkens zu überzeugen und Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung zu betreiben. In Asifiwes Vater hat Honorata einen tapferen Unterstützer. Moses Mbuyuk ist traditional leader, sein Wort zählt. „Es ist aber nicht einfach, meine Leute in dieser Frage zu überzeugen“, sagt er. Er werde wegen seines für Massai ungewöhnlichen Zugangs zu FGM von Dorfbewohnern angefeindet, erzählt man sich. „Unsere Tradition und Kultur sind stark, sie werden auch ohne diese Praxis überleben“, hält der 63-Jährige dagegen und spricht in diesem Zusammenhang die Viehherden an (Besitz und ganzer Stolz jedes Massai) und die traditionelle, meist karierte Tracht.
Seine Tochter Asifiwe hat diese gerade wieder abgelegt und die klassische Kleidung gegen einen modernen Style getauscht – auf geht es zum Studium nach Arusha, sie lässt ihr Dorf (wieder einmal) hinter sich.
Die Reise wurde von der Katholischen Frauenbewegung teilfinanziert.
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