Was, wenn der Dalai Lama stirbt? Warum es zwei Nachfolger geben wird

Glaubt man der buddhistischen Lehre, wird es immer einen Dalai Lama geben. Er ist viel mehr als das geistliche und weltliche Oberhaupt aller Tibeter – weshalb schon alleine seine Existenz Chinas Herrschaft über Tibet in Frage stellt.
Um die Strahlkraft dieses Titels zu verstehen, muss eine kurze Ausführung zu einem Grundkonzept des buddhistischen Glaubens erlaubt sein: der Wiedergeburt. Demnach wird jedes Wesen so lange wiedergeboren, bis es im Leben vollständige Erleuchtung erlangt hat und ins Jenseits, das Nirwana, übertreten kann.
Der Dalai Lama gilt als wiedergeborenes, erleuchtetes Wesen
Als besonders anbetungswürdig, vergleichbar mit den christlichen Heiligen, gelten die Bodhisattva: Wesen, die bereits erleuchtet sind, sich aber freiwillig dazu entscheiden, immer wieder in die Welt der Lebenden zurückzukehren, um ihre Weisheit zu teilen. Der Titel Dalai Lama wird also jenem Menschen verliehen, der als Reinkarnation von Chenrezig, dem Bodhisattva des Mitgefühls, angesehen wird.

Tenzin Gyatso ist der 14. Dalai Lama - er gilt also das das 14. menschliche Gefäß für den wiedergeborenen Bodhisattva des Mitgefühls: Chenrezig.
Tenzin Gyatso ist der 14. Dalai Lama, also aus Sicht der Gläubigen das 14. menschliche Gefäß, in dem dieses gutwillige Wesen wiedergeboren wurde. Das glauben nicht nur Tibeter: In Indien beten Buddhisten Chenrezig unter dem Namen Avalokiteshvara an, in Japan als Kannon, in China als Guanyin.
Für die Gläubigen ist der Dalai Lama somit eine fast unfehlbare, übermenschliche moralische Instanz – sie werden seinen Lehren immer größere Bedeutung beimessen als jenen von Regierungen oder Parteien. Doch Chinas Führung weiß, dass die Zeit ihr in die Karten spielt.
Die nächste Reinkarnation
Stirbt ein Dalai Lama, wird er laut dem tibetischen Glauben in einem Kind wiedergeboren. Mönche begeben sich dann auf die Suche und stellen potenzielle Wunderkinder auf die Probe. So soll Tenzin Gyatso als zweijähriger Bub aus einer Reihe von Gegenständen immer zu jenen gegriffen haben, die dem frisch verstorbenen, 13. Dalai Lama gehört hatten.
Die Suche nach dem nächsten, 15. Dalai Lama wird nicht mehr gemäß der Traditionen möglich sein. Mit ihrem Unterdrückungs- und Überwachungsapparat hat die kommunistische Partei Tibet eisern unter ihre Kontrolle gebracht – und ist bestens vorbereitet, die Suche nach der nächsten Reinkarnation selbst zu lenken.
China entführte bereits einmal ein Kind, das als Reinkarnation galt
Wie das aussehen könnte, zeigt die Geschichte des Penchen Lama: Diesen Titel trägt der zweithöchste Geistliche im tibetischen Buddhismus. Im Jahr 1995 glaubten tibetische Mönche, die 11. Reinkarnation des Penchen Lama in einem sechsjährigen Buben gefunden zu haben. Drei Tage später wurde das Kind mitsamt seiner Familie von chinesischen Beamten entführt.
Stattdessen präsentierte die kommunistische Partei einen anderen Fünfjährigen als neuen Penchen Lama. Heute ist er 35 Jahre alt, wird in Tibet von der chinesischen Regierung hofiert – und von der Glaubensgemeinschaft außerhalb Chinas sowie vom Dalai Lama nicht anerkannt. Vom ursprünglichen Penchen Lama und dessen Familie fehlt dagegen jede Spur.
Auch im Falle des nächsten Dalai Lama ist davon auszugehen, dass Chinas Regierung eine eigene Reinkarnation präsentieren wird. In einer Schrift anlässlich seines 90. Geburtstages erklärte der noch lebende 14. Dalai Lama deshalb, sein Nachfolger werde „in der freien Welt“ wiedergeboren – also außerhalb des chinesisch besetzten Tibets.
Aus Sicht Pekings setzt der gefährlichste Separatist, die größte personifizierte Gefahr für Stabilität im Land, seinen Widerstandskampf damit langfristig fort.
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