Clown-Show oder Geisterbahn? Kenneth Copland hat mimisch beides im Repertoire. Wenn Amerikas reichster TV-Prediger (300 Millionen Dollar aufwärts) mit weit aufgerissenen Augen und geballter Faust theatralisch vor laufender Kamera zur Satansaustreibung schreitet, schauen Millionen Evangelikale gebannt zu.
Neulich hat sich der Mann aus Lubbock, Texas, der im spendenfinanzierten Privatjet reist, weil auf Linienflügen „zu viele Dämonen mitfliegen“, auf seinem eigenen Fernsehkanal der Plage der Stunde angenommen. Einfach die Hände auf den Bildschirm legen, fest daran glauben – Halleluja, schon geheilt. So versprach es der 83-Jährige seinen Schäfchen im Stile eines Exorzisten. Geheilt vom Coronavirus.
Tinktur gegen Corona
Branchen-Kollege Jim Bakker ging noch einen Schritt weiter. Für 125 Dollar das Fläschchen vertrieb der grauhaarige TV-Evangelist, der wegen Betruges Ende der 1990er-Jahre zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt worden war, bis vor Kurzem eine dubiose Silberlösung.
Die Tinktur radiere binnen zwölf Stunden jede Coronavirus-Infektion aus, quacksalberte Bakker. Sie kann aber auch Krebs und Unfruchtbarkeit erzeugen. Die für Medikamente zuständige „Federal Drug Administration“ (FDA) stufte das Präparat als gesundheitsgefährdend ein. Missouris Generalstaatsanwalt Eric Schmitt verklagte den geschäftstüchtigen Prediger wegen Irreführung.
Copland und Bakker mögen bizarre Ausreißer sein. Einzelfälle sind sie nicht. Während die führenden protestantischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche bis hin zum Papst seit Wochen herkömmliche Gottesdienste ausgesetzt haben und auf das Einhalten von staatlichen Richtlinien zur Reduzierung der Ansteckungsgefahr (Abstand halten!) pochen, wächst im Sammelbecken der Evangelikalen der Widerstand gegen staatliche Reglementierung.
Windige Selfmade-Priester, von denen viele energische Unterstützer Trumps sind und bereits im Weißen Haus segnend Hand an den Präsidenten legen durften, haben (wie Trump) die Corona-Gefahr lange entschlossen verharmlost. Gepaart mit der Behauptung, nur ein echter Gottesdienst schütze vor dem Virus. Natürlich mit vielen Gläubigen. In der Kirche.
Rodney Howard-Browne hat diese von sämtlichen Seuchenexperten als haarsträubend bezeichnete Haltung vorübergehend ins Gefängnis gebracht. Der Pastor einer Mega-Kirche in Tampa, Florida, weigerte sich, den Anordnungen von Gouverneur Ron DeSantis nachzukommen, der von Zusammenkünften mit mehr als zehn Menschen strikt abgeraten hatte.
Howard-Browne rief seinen Anhängern zu: „Jesus heilt!“ Gottesdienste seien „systemrelevant“. Die Corona-Gefahr? Eine „aufgebauschte Phantom-Plage“. Fast wortgleich ließ sich Guillermo Maldonado vernehmen. Der Betreiber einer Großkirche in Miami nennt sich „Apostel“, auch ein Trump-Fan.
Open-Air-Gottesdienst
Als der auf Polizei-Fotos wie ein Mafia-Schläger dreinschauende Howard-Browne vom Sheriff wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ verhaftet wurde, sprang ihm ein einschlägig beleumundeter Kollege an die Seite.
Jonathan Shuttlesworth, Teleevangelist mit politischem Rechtsdrall, kündigte für Ostern in Pennsylvania trotzig einen Open-Air-Gottesdienst im Woodstock-Stil an. Pastoren, die sich vom Staat ins Boxhorn jagen ließen und den Dienst am Herrn einstellten, bescheinigte er, sie hätten keine „Eier“.
Ein Vorwurf, den Landon Spradlin zu Lebzeiten weit von sich gewiesen hätte. Der erzkonservative Pastor und Musiker aus der Nähe von Lynchburg, Virginia, war mit seiner Frau zum „Mardi Gras“ nach New Orleans gereist, um gottesfürchtigen Blues zu spielen und im sündigen „Big Easy“ das Wort des Herrn zu verbreiten. Das Karnevalsspektakel erwies sich im Rückblick als Corona-Petrischale.
Hunderte fingen sich hier rund um „Fat Tuesday“ das Virus Covid-19 ein. So auch Spradlin, der die Gefahr als eine von den Medien gezüchtete „Massenhysterie“ abtat. Auf der Rückfahrt aus Louisiana brach er Mitte März zusammen. Im Krankenhaus in North Carolina wurden schwere Lungenschäden diagnostiziert. Acht Tage später war Spradlin tot.
Protestanten
Grundsätzlich ist das evangelikale Christentum eine Art des Protestantismus. Evangelikale gibt es also unter Baptisten, Reformierten oder Methodisten.
Für Evangelikale ist die Bibel als Wort Gottes unumstößlich und im Wortsinn gültig. Daraus entstehen oft Konflikte mit den Naturwissenschaften.
Erweckung
Im Mittelpunkt ihrer Religion steht für Evangelikale der Glaube an die göttliche Gnade und die persönliche Beziehung zu Jesus. Wichtig ist daher ein Erweckungs- oder Bekehrungserlebnis, meistens die Taufe als Erwachsener.
Über 300 Mio. weltweit
Jeder vierte Christ weltweit ist ein Evangelikaler, die meisten gibt es in den USA. In Österreich sind es rund 20.000.
Die abschreckende Wirkung solcher Schicksale hält sich unter weißen, evangelikalen Wählern, von denen die allermeisten 2016 Trump gewählt haben, dennoch in Grenzen. Anteil daran hat nicht zuletzt der Präsident, der erst nach sechs Wochen die anfänglichen Beschwichtigungen (“Das Virus geht im Frühjahr wie durch ein Wunder wieder weg“) einstellte und das Land auf „schwerste Zeiten“ einstimmte.
Auch wenn Trumps Zustimmungswerte in der Gesamtbevölkerung angesichts von mehr als 18.700 Corona-Toten und einer Latte von Regierungsversäumnissen nun doch sinken: Rund 75 Prozent der religiösen Fundamentalisten, die Trumps Skepsis der Wissenschaft gegenüber teilen, halten dessen Krisenmanagement nach wie vor für gut.
In diesem Klima gedeihen religiöse Kamikazeflieger wie Tony Spell. Der Pastor der „Life Tabernacle“-Kirche in Louisiana, lud schon über Palmsonntag 1.000 Gemeindemitglieder zu drei Gottesdiensten ein, obwohl es der Gouverneur verboten hatte. Zu Ostern plant er eine Wiederholung. Gott werde die Gläubigen vor Corona beschützen.
Ein klares Wort aus dem Weißen Haus, sind sich Experten einig, könnte die evangelikalen Kirchgänger vielleicht zur Räson bringen. Aber es war Trump persönlich, der noch vor Tagen von „gerappelt vollen Kirchen“ über Ostern schwadronierte, bevor er auf die Bremse trat. Was Paula White, seine evangelikale Privat-Seelsorgerin, nicht davon abhielt, in einer Online-Gebetsstunde auf Facebook Geld einzutreiben, für ihr „Krankenhaus für Seelen-Kranke“.
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