TV-Ansprache
Die Reaktionen in Pantin auf die Stippvisite des Staatschefs sind aber auch generell symptomatisch für die Bandbreite der Gefühle, die Macron zurzeit weckt, und auf die er am Montagabend in einer TV-Ansprache eingehen muss.
Einerseits ist Macrons Popularität laut Umfrage innerhalb eines Monats von 28 auf 47 Prozent hochgeschnellt. Andererseits ist, ebenso laut Umfrage, das Vertrauen der Franzosen in die Fähigkeit der Staatsführung, die Corona-Krise zu bewältigen, im freien Fall.
Widerstreit der Gefühle
An diesem Widerstreit der Gefühle wird auch der TV-Auftritt des Präsidenten kaum etwas ändern, weil er genau das Dilemma widerspiegelt, in dem Frankreich steckt.
Einerseits ist sich die Mehrheit der Franzosen der jetzigen Gefahrenlage, die von Macron als „Kriegszustand“ bezeichnet wurde, bewusst. Mit 13.900 Corona-Toten in Spitälern und Seniorenheimen (die am Virus in ihren Wohnungen Verstorbenen sind nicht erfasst) liegt Frankreich im europäischen Spitzenfeld bei den Epidemie-Opfern. Da wollen sich viele Menschen gegenüber dem Staatschef nicht illoyal verhalten. Das zeigt sich auch darin, dass die seit Mitte März verhängte Ausgangssperre, obwohl sie vergleichsweise strenger gehandhabt wird als etwa in Österreich, laut Umfrage von drei Vierteln der Franzosen gutgeheißen wird.
Aber den Franzosen ist gleichzeitig klar, dass es einen verheerenden Mangel an Schutzmaterial (Gesichtsmasken, Einweg-Kittel, Schutzbrillen, Hauben) sogar in Krankenhäusern, Notaufnahmen, Ordinationen und Seniorenheimen gibt. Dass sich die französischen Regionen, die vom Virus hauptsächlich betroffen sind, bei der Zahl der Intensivbetten mit Beatmungsgeräten am äußersten Limit bewegen. Dass es in den Reanimationsabteilungen an qualifiziertem Personal mangelt. Dass in einigen Spitälern, der Bestand an Betäubungs- und Lockerungsmitteln gefährlich sinkt. Und dass in Frankreich zu wenig Virus-Tests verfügbar sind.
Brachiale Sparmaßnahmen der Vergangenheit
Der Ärger über die vorherigen brachialen Sparmaßnahmen im öffentlichen Gesundheitswesen, die diese Situation mitverursacht haben, ist weit verbreitet, wenn auch derzeit nur im Hintergrund vernehmbar.
Weil sich an dieser angespannten Lage im Gesundheitswesen kurzfristig nur wenig ändern lässt, ist Frankreich von Ausstiegs-Ansätzen aus dem Shutdown, wie sie etwa in Österreich anlaufen, noch weit entfernt. Macron bleibt nicht viel anderes übrig, als die Ausgangssperre zu verlängern – möglicherweise bis Ende Mai, wie das gewöhnlich gut informierte Wochenblatt Journal du Dimanche vermutet. Die Schulen würden erst wieder im September öffnen.
Dabei wird Macron von der Sorge angetrieben, dass in einem Großteil des französischen Territoriums, die Menschen keine oder kaum Virus-Kranke kennen und daher weniger Disziplin bei der Einhaltung der Ausgangssperre aufbringen würden. Tatsächlich sind vor allem Ost-Frankreich und der Pariser Großraum betroffen.
Kein Nachlassen nach ersten Erfolgen
Zuletzt gingen aber auch in Ostfrankeich, dem ersten großen Brandherd, die Zahl der Neu-Aufnahmen von Corona-Kranken in den Spitälern zurück. Auch im Pariser Großraum ist insofern eine leichte Entspannung eingetreten, als die Zahl der Neu-Aufnahmen seit einer Woche weniger schnell als zuvor ansteigt.
Die Ärzte, die Macron beraten, sehen darin zwar die ersten Erfolge der Ausgangssperre. Sie fürchten aber, dass diese positiven Zeichen die Bevölkerung in falscher Sicherheit wiegen könnten. Und sie rechnen mit einer „unvermeidlichen zweiten Infektionswelle“ – eine Warnung, die Macron „besonders beeindruckt“ habe, wie das Journal du Dimanche“vermeldet.
Deswegen soll sich der liberale Präsident, der sich bisher durchwegs unternehmerfreundlich zeigte, auch dem Drängen von Wirtschaftskreisen auf rasche Wiederaufnahme der Aktivitäten vorläufig eher widersetzen.
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