Corona: Latinos und Schwarze sind besonders betroffen
Wenn Juan Alverado im Washingtoner Stadtteil Chevy Chase zu Handwerker-Arbeiten an Dächern, Zäunen und Klima-Anlagen gerufen wird, hat der dreifache Vater, der vor Jahren aus Mexiko in die USA eingewandert ist, hinter seiner selbst genähten Gesichtsmaske aus altem Jeans-Stoff regelmäßig traurige Geschichten zu erzählen. Mal ist es ein Onkel, mal eine Nichte, mal ein Cousin, der oder die sich mit dem Coronavirus angesteckt hat, im Krankenhaus liegt oder daran gestorben ist. „Wir Hispanics sind gemeinsam mit den Schwarzen wirklich die Hauptleidtragenden dieser Seuche“, sagte der 43-Jährige zum KURIER, „und die Gründe dafür sind fast alle hausgemacht.“
„Unsichtbarer Feind“
Was Alverado schildert, wird auf dem Niveau lokaler Stichproben bestätigt. Vor allem in großen Ballungsräumen wie New York, Chicago, Atlanta, Los Angeles oder New Orleans waren Latinos und Afroamerikaner gemessen an der Gesamtbevölkerung überproportional häufig vom „unsichtbaren Feind“ betroffen, wie US-Präsident Donald Trump das Corona- Virus nennt. Zahlen-Verhältnisse, wo diese beiden Gruppen lokal zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung stellen, aber 70 bis 80 Prozent der Infizierten und Toten, haben seither für Verdruss und Verzweiflung gesorgt.
Dass alles noch viel dramatischer ist, hat jetzt die New York Times (NYT) ermittelt. Dazu hat das Blatt die staatliche Seuchenschutzbehörde CDC auf Herausgabe der Daten von 1,5 Millionen der bisher 2,8 Mio. Corona-Fälle verklagt und 640.000 Fälle in rund 1.000 Landkreisen genauer in Augenschein genommen.
Sterblichkeit doppelt so hoch
Befund: Latinos und Schwarze aller Altersklassen erkranken landesweit dreimal häufiger an Corona als Weiße und sterben doppelt so häufig an den Folgen der Virus-Erkrankung. Die Diagnose erstreckt sich auf alle Landesteile, von der Großstadt bis in die dörfliche Gemeinschaft. Fächert man das Datenmaterial noch kleinteiliger auf, ergeben sich haarsträubende Befunde. Latinos und Schwarze, die an Corona starben, waren zu einem Viertel jünger als 60 Jahre. Bei Weißen lag der Anteil bei sechs Prozent. Die Behauptung, dass vor allem Vorerkrankungen wie Diabetes, Asthma und Fettleibigkeit bei Schwarzen wie Latinos für den tödlichen Ausgang verantwortlich seien, gerät ins Wanken.
Dr. Mary Bassett, Gesundheitsexpertin der Harvard Universität, sagte der NYT, dass Afroamerikaner und Latinos überproportional schlechter bezahlte Dienstleistungsberufe mit vielen Sozial-Kontakten ausübten und so einem höheren Ansteckungsrisiko unterworfen seien. „Als Busfahrer, Altenheim-Pfleger, Regalfüller im Supermarkt oder als Handwerker haben wir nicht das Privileg, in Sicherheit zu Hause zu bleiben und aus dem Homeoffice zu arbeiten“, bestätigt Juan Alverado.
Rassismus
Benjamin Barber, ein wichtigster schwarzer Kirchenführer, sagt daher, dass Corona „nicht nur biologisch, sondern soziologisch zu erklären ist“. Er meint damit strukturelle Nachteile, die auf die durch Rassismus entstandene Ungleichheit zurückgeführt werden könnten: Arme Stadtteile haben weniger Ärzte und weniger Krankenhäuser. Viele Mitglieder von Minderheiten haben keine oder nur schlechte Krankenversicherungen. Erkranken sie, werden sie nach Hause geschickt, wo sie in beengten Verhältnissen leben, keine Abstandsregeln einhalten können und so ungewollt ihre Familien anstecken.
„Durchs Dach gegangen“
Letzteres gilt nicht nur für ausgewiesen arme Regionen. Der Bezirk Fairfax vor den Toren der Hauptstadt Washington gehört zu den reichsten Gebietskörperschaften der USA. In den Mietskasernen im Umkreis der Dulles-Flughafens leben überproportional viele Latinos. Hier sind die Infektionszahlen zuletzt nach Angaben von Lokalpolitikern „durch die Decke geschossen“. Die Behörden mieten verstärkt Hotelzimmer an, um Kranke vorübergehend von den Familien zu isolieren.
Die von der NYT analysierten Zahlen enden Ende Mai, also vor der augenblicklichen Misere, die täglich Neuinfektionen von mehr als 50.000 zutage fördert.gefördert hat.
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