Corona & Trump: Wie die USA durch eine ihrer "instabilsten Zeiten" irrlichtern
"Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht." Dieser Satz stammt nicht von US-Präsident Donald Trump, sondern von einem 30-Jährigen, der kurz nach diesen Worten im Bundesstaat Texas an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorben ist. Der Mann hatte sich zuvor über das Coronavirus lustig gemacht, es für einen "Schwindel" gehalten und bereits als Infizierter eine "Covid-19-Party" veranstaltet.
Dieser eine Todesfall dient als trauriges Symbolbild für den Umgang der USA mit dem Virus. Es begann mit der Verdrängung: Trump hatte Corona bereits Anfang Februar für "besiegt" erklärt, nachdem er einen Einreisestopp über China-Reisende verhängt hatte. Rückblickend betrachtet setzte Trump damit zwar eine richtige Maßnahme – die im Übrigen damals von der WHO kritisiert wurde. In weiterer Folge warteten die USA aber lange zu, bis Maßnahmen ergriffen und deutlich kommuniziert wurden, um die Ausbreitung des Virus zu unterbinden.
Behandelnde Ärztin Jane Appleby erinnert sich an die letzten Worte
Traurige Rekorde
Am 15. März meinte Trump noch: "Dies ist ein sehr ansteckendes Virus. Es ist unglaublich. Aber wir haben eine enorme Kontrolle darüber." Lockdowns in betroffenen Bundesstaaten wie New York führten nur lokal zu einer Abnahme der Infektionen. Das Ergebnis: Während in den meisten europäischen Staaten die Corona-Fälle bis zum Juni deutlich zurückgingen, blieben und bleiben die Kurven in den USA nicht nur auf einem hohen Niveau - landesweit steigen sie.
Selbst der oberste US-Immunologe, Anthony Fauci, übt deshalb regelmäßig subtile Kritik am Krisenmanagement des Präsidenten und der Bundesstaaten. Zuletzt meinte er, dass die Beschränkungen in den südlichen Bundesstaaten zu schnell wieder gelockert worden seien. Die USA hätten die Pandemie nie unter Kontrolle gebracht, würden immer noch in der ersten Welle stecken und „sofortiges Handeln“ sei notwendig, so Fauci. Übrigens hat das Weiße Haus in den vergangenen Wochen mehrmals Anfragen für TV-Interviews mit Fauci abgelehnt, wie der US-Sender CNN vermeldete. Der Experte kommt nun vermehrt in Podcasts zu Wort.
Texas, Kalifornien und Arizona verzeichneten in den vergangenen Tagen Rekordanstiege bei den Neuinfektionen. Florida brach am Sonntag mit mehr als 15.000 Fällen den Tagesrekord für einen einzelnen US-Bundesstaat. Am Freitag wurden die bisher meisten Neuinfektionen seit Beginn der Pandemie gemeldet. Laut Angaben der Johns-Hopkins-Universität (JHU) lag die Zahl bei 66.627.
"Großartig, eine Maske zu tragen"
"Wir stehen vor einer der instabilsten Zeiten in der Geschichte unseres Landes", warnte Tropenmediziner Peter Hotez am Freitag in einem Interview mit CNN. Die USA seien ausgelastet, was die Krankenhausinfrastruktur betreffe, immer mehr Mitarbeiter würden krank werden: "Wir haben nicht genügend Personal, um das alles zu managen." Außerdem finde eine "koordinierte Desinformationskampagne" statt, so Hotez, ausgehend vom Weißen Haus: Angriffe gegen China, Beschwichtigungen bezüglich der Gefahr der Krankheit, die gepriesene Teststrategie - das alles seien nur Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen.
Was macht Trump? Er arbeitet vor allem an seinem Status als schlechtes Vorbild. Er empfahl und konsumierte ein HIV-Medikament, das nachweislich nicht gegen das Virus wirkt – Hydroxychloroquin. Bereits legendär: Sein Vorschlag, sich doch Desinfektions- oder Bleichmittel gegen das Virus zu injiziieren – was einen Anstieg von Vergiftungen in den USA mit diesen Substanzen zur Folge hatte.
Und: Trump trägt bei seinen Auftritten beunruhigend selten eine Maske. Bis Freitagabend gab es für Journalisten kaum verwertbare Fotos des Präsidenten, auf denen er überhaupt einen Mund-Nasen-Schutz trägt. Bei einem Treffen mit verwundeten Soldaten und deren Angehörigen im Walter-Reed-Militärkrankenhaus in Bethesda bei Washington hielt er es dann doch für angebracht und bekundete: "Ich finde es großartig, eine Maske zu tragen. Ich war nie gegen Masken, aber ich glaube, es gibt eine Zeit und einen Ort dafür."
Trump trägt Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit
WHO wird dem Feind überlassen
Das gilt nicht für Trumps Wahlkampfveranstaltungen. Er liegt in Umfragen konstant hinter dem Demokraten Joe Biden, gegen den er im November bei den Präsidentschaftswahlen sein Amt verteidigen will. Trump ist bereits proaktiv, inszeniert große Wahlveranstaltungen – ohne Maske. Seine Begründung: Er werde sowieso oft genug getestet. In einem Interview mit dem Wall Street Journal im Juni stellte Trump gar die Vermutung auf, dass viele US-Amerikaner nur eine Maske tragen würden, weil sie "das Signal aussenden wollen, dass ich ihnen missfalle".
Trump wird nicht müde, die Teststrategie der USA zu loben und andere Schuldige zu benennen: allen voran China und die WHO. Weil Trump eine zu enge Verquickung zwischen der Volksrepublik und der internationalen Organisation identifiziert hat, sind die USA vor einer Woche kurzerhand – und nach 72 Jahren Mitgliedschaft – aus der WHO ausgetreten.
Experten geben Trump in einem Punkt recht: Die WHO hat vor allem zu Beginn der Krise ein unkoordiniertes, unglückliches Bild abgegeben und sich bis heute nicht dazu durchgerungen, Chinas Kommunikationspolitik zu kritisieren. Gleichzeitig ziehen sich die USA als internationaler Akteur noch stärker zurück und überlassen China mit dem WHO-Austritt ein weiteres Spielfeld. Und während die WHO mittlerweile klare Linien vorgibt und mögliche eigene Verfehlungen untersuchen möchte, hanteln sich die Vereinigten Staaten im Zickzackkurs von einem traurigen Rekord zum nächsten.
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