Corona-Krise in Venezuela: Wenn Alltägliches zu Luxus wird
Rodrigo wachte auf wie an jedem gewöhnlichen Tag. Er ging ins Bad und merkte: kein Wasser. In diesem Moment ahnte er noch nicht, dass er mitten in einer Menschenmenge stundenlang unter der brütenden Sonne auf Wasser für seine vierköpfige Familie warten würde. Er ahnte nicht, dass der Wassertanker, der seine Nachbarschaft versorgt, einen ganzen Monat lang nicht kommen würde. Dabei war es erst der erste Tag.
All das geschah mitten im Lockdown während der Corona-Pandemie.
Im Regime von Präsident Nicolas Maduro gehört der Mangel an den grundlegendsten Serviceleistungen zur Normalität. Fast jeden Tag fällt irgendeine Versorgung aus – Strom, Wasser. Im Vorjahr kam es in 23 der 24 Bundesstaaten des Landes zu einem tagelangen Blackout.
Suche nach Wasser
Rodrigo lebt in der Hauptstadt Caracas. Er ist ein preisgekrönter Journalist, aber so wie fast alle anderen kämpft er in der Pandemie ums Überleben. Als er seine Freunde fragte, ob sie Wasser hätten, antworteten die meisten: Nein, auch keines. Andere wiederum hatten welches, wegen der großen Wassertanks auf ihren Hausdächern, aber keinen Strom.
Wenn die Menschen irgendwo eine Fontäne sehen, füllen sie das Wasser in die großen blauen Tanks. Aber es ist nicht nur gefährlich: Nirgendwo gibt es eine Bestätigung, dass das Wasser sauber ist. Es ist auch schwer, die Tanks zurück ins Haus zu bringen – ohne jedwedes Transportmittel.
Rodrigo geht es noch besser als vielen anderen: Er verdient genügend, um Essen und Medizin kaufen zu können. Doch viel zu oft gehen wertvolle Arbeitstage verloren, weil er auf die Suche nach Wasser gehen muss. Oder nach einer Internetverbindung, damit er seine Artikel schicken kann.
Auch Gas gibt es kaum noch. Wer außerhalb von Caracas lebt, sammelt Feuerholz und kocht damit – so wie die Generation der Urgroßeltern.
Venezuela: Trister Alltag
Venezuela: Trister Alltag
Venezuela: Trister Alltag
Venezuela: Trister Alltag
Venezuela: Trister Alltag
Relativ früh, Mitte März, verhängte Venezuelas autokratischer Präsident Nicolas Maduro über Venezuela eine strengen Lockdown. Aber die Mehrheit der Menschen in den Armenvierteln, den kleineren Städten und auf dem Land befolgten die Quarantäne nie: Wer nicht arbeitet, verdient kein Geld und muss hungern.
Mittlerweile ist der Lockdown vorüber – und die Zahl der Fälle steigt. Offiziell erkrankten bisher rund 4.000 Menschen am Coronavirus – das wäre rund ein Viertel der Fälle in Österreich, wenn denn die Zahlen stimmen.
Zeit für Politisches
Die Zeit des Lockdowns aber nutzte Präsident Maduro auch, um die Opposition weiter ins Eck zu drängen. Der politische Erbe des 2013 verstorbenen Hugo Chavez will heuer Parlamentswahlen abhalten lassen, denn das Parlament ist die einzige Institution in Venezuela, die von der Opposition kontrolliert wird.
Zusammen mit dem Höchstgericht erkor Maduro eine handverlesene Gruppe von Politikern, die gegen ihn und seine Partei bei den kommenden Wahlen antreten dürfen. Die elf echten Oppositionsparteien wollen die „Wahlfarce“ boykottieren. Wer Maduro offen kritisiert, muss fürchten, bedroht zu werden. Schlimmstenfalls werden Politiker oder Journalisten verhaftet oder außer Landes getrieben. Fünf Millionen Venezolaner haben das Land verlassen.
Eine der schlimmsten Plagen Venezuelas heißt Korruption. Nach Schätzungen des Parlaments hat das Land in 20 Jahren Chavismus mehr als 350 Milliarden Dollar verloren. Mit einem Mindestlohn von knapp vier Dollar im Monat ist kein Überleben möglich: Eine vierköpfige Familie benötigt pro Monat fast das Hundertfache davon, nur um Essen zu kaufen. Doch die Preise steigen weiter. Seit mehr als zwei Jahren herrscht Hyperinflation.
Drei Euro im Monat
Einer von vier Venezolanern ist arbeitslos. 18 der 30 Mio. Venezolaner sind für Nahrungsmittelunterstützung registriert. Das monatliche Durchschnittseinkommen beträgt 3,41€.
Acht Kilo verloren
2017 stellte eine Studie fest, dass der durchschnittliche Venezolaner wegen der Lebensmittelkrise 8 kg verlor. Die „Maduro-Diät“ forderte Väter auf, pro Tag auf eine Mahlzeit zu verzichten – für die Kinder.
Immer weniger Öl
2008 produzierte die staatliche PDVSA 3,2 Mio. Barrel Öl (und raffinierte 1,3 Mio. Barrel). Im Mai 2020 waren es nur noch 322.000 (130.000). Im ganzen Land funktioniert nur noch ein Ölbohrer.
Benzin jetzt unbezahlbar
Um die Krise zu lindern, importiert Venezuela, das Land mit den größten Ölvorkommen der Welt, nun seit Juni Öl und Gas aus dem Iran: Sofort explodierten die Preise, vom billigsten Benzin der Welt auf 0,5 Dollar pro Liter – unbezahlbar für die meisten Venezolaner. Wer Glück hat, bekommt subventioniertes Benzin um 0,025 Dollar pro Liter. Wer sich einen kleinen Kanister damit befüllen will, muss sich mindestens vier Stunden, manchmal einen ganzen Tag dafür anstellen.
Die Folge: Der Schwarzmarkt blüht – und dass in einem Land mit einer der höchsten Kriminalitätsraten der Welt.
Kommentare