Erstes TV-Duell Trump vs. Biden: "Halt den Mund, Mann"
„Mein Job ist es, so unsichtbar wie möglich zu sein”, hatte Chris Wallace vor der ersten Fernseh-Debatte der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten gesagt - und dabei die Rechnung ohne Donald Trump gemacht.
Es ist zwar keine wirkliche Nachricht mehr, dass der 74-jährige New Yorker Unternehmer nicht das Temperament und die Selbstdisziplin besitzt, um verantwortungs- und würdevoll das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika auszufüllen.
Sein chaotisches Verhalten beim ersten Aufeinandertreffen mit seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden am Dienstagabend in Cleveland setzte nach Ansicht vieler US-Kommentatoren trotzdem „neue Maßstäbe der Zerstörungswut”.
Biden bezeichnet Trump als Clown
"Schwer, bei diesem Clown zu Wort zu kommen"
Fast von der ersten Minute an fiel der Amtsinhaber seinem Kontrahenten ins Wort, ließ keinen Redefluss zu, attackierte mit Zwischenrufen und Beleidigungen. Biden antwortete zu Beginn mit Kopfschütteln und Haifischlächeln. Später mit barschen Kontern wie „Halt den Mund, Mann” oder „Es ist schwer, bei diesem Clown zu Wort zu kommen” und „Alle wissen, dass er ein Lügner ist.”
Wallace' Versuche, das Heft in der Hand zu behalten und das auf 90 Minuten begrenzte Gespräch für Millionen Zuschauer inhaltlich wertvoll zu strukturieren, scheiterten vor allem an Trumps fehlender Bereitschaft zum zivilen Schlagabtausch. "Man kann mit diesem Mann einfach nicht diskutieren", sagte ein Analyst dem Sender CNN.
Die Fernsehzuschauer erlebten unterdessen einen Joe Biden, der so ganz anders war als die traurige Karikatur eines tatterigen Greises, den die Strategen des Weißen Hauses seit Wochen aus ihm machen wollen.
Die Befürchtung, dass Biden im Eins-gegen-Eins-Duell von der Dampfwalze aus New York überrollt würde, war grundfalsch.
Im Gegenteil. Über weite Strecken steckte Trump in der Defensive und versuchte die in der Regel zunächst seriös vorgetragene Kritik an seiner Regierungspolitik - ob es das Coronavirus-Krisen-Management und der damit verbundene Wirtschaftseinbruch war oder die Frage, wie mit Rassismus umzugehen ist - mit schnellen Themenwechseln oder Provokationen mundtot zu machen.
Trump Vs Biden: "die radikalen Linken haben Biden in der Hand"
Trump bekam Biden, den er vor allem durch Angriffe auf Charakter und Familie aus der Balance bringen wollte, aber nie zu packen. Die mit Verve vorgetragenen Vorhaltungen Trumps, dass Bidens Sohn Hunter korrupte Millionengeschäfte mit der Ukraine und China gemacht habe, während Biden Senior Vizepräsident unter Obama war, hatten die Wirkung einer Platzpatrone. Der Angegriffene sagte mehrfach: „Das entspricht nicht der Wahrheit.” Der Rest ging im Schlachtenlärm unter.
Auch das Bemühen Trumps, Biden als Marionette für die „radikalen Sozialisten” bei den Demokraten darzustellen, geriet zum Rohrkrepierer. Biden, fast durchweg hellwach und schlagfertig, verkündete in Basta-Manier: „Ich bin jetzt die Demokratische Partei.” Soll heißen: Ich bestimme maßgeblich, in welche Richtung wir marschieren.
"Es geht um euch"
Nach Körpersprache, Wortwahl und Substanz zu urteilen, machte der Demokrat die bessere Figur. Auch weil er sich in einem entscheidenden Punkt von seinem Widersacher abgrenzte. Während Trump, der über weite Strecken wie in einer Ein-Mann-Show Moderator, Zwischenrufer und Fragesteller in einem gab, ständig von der Seite auf Biden und Moderator Wallace einredete, wandte sich Biden mit klarem Blick regelmäßig an die Menschen an den Bildschirme. „Es geht um euch!”
Immer wieder rieb Biden seinem Widersacher dessen anerkannt mangelhaftes Management in der Coronavirus-Krise rein. 206.000 Tote, Millionen Arbeitslose…viel weiter kam der Alt-Vizepräsident oft nicht, dann hatte Trump den Gesprächsfaden bereits wieder durchtrennt und zum Gegenangriff geblasen. Motto: „Wenn wir auf Dich gehört hätten, Joe, wären Millionen Amerikaner an dem China-Virus gestorben.”
Versuche, das Thema zu versachlichen, immer wieder das Anliegen von Moderator Wallace gewesen, liefen völlig ins Leere. Weil Trump, wie die Faktenchecker von New York Times, Washington Post und anderen Organisationen in Echtzeit ermittelten, es (anders als Biden) dutzendfach mit der Wahrheit nicht so genau nahm.
Trump VS Biden: "Erzählen Sie mir nichts über smart sein!"
Trump: "Habe Abermillionen Dollar Steuern gezahlt"
So auch beim Thema Steuern. Der Präsident bestritt die jüngste Enthüllung, wonach er, der Milliardär, 2016 und 2017 jeweils nur 750 $ Einkommensteuer an den Bundesfiskus IRS abgeführt hatte. „Ich habe Millionen und Abermillionen Dollar gezahlt”, sagte Trump und wetterte alle Nachfragen ab.
Das erste TV-Duell Trump - Biden
Joe Biden hatte das Steuer-Transparenz-Thema wenige Stunden vor der Debatte abgeräumt, indem er seine 2019er „Tax-Deklaration” veröffentlichte. Bei einem steuerpflichtigen Einkommen von rund 950.000 $ zahlten Joe und seine Ehefrau Jill Biden zusammen rund 290.000 $ Einkommensteuer.
Der Erkenntnisgewinn der ersten TV-Debatte, die selbst der erfahrene Chris Wallace zu keiner Zeit in den Griff bekommen konnte, weil zuvorderst Trump es nicht zuließ, blieb insgesamt sehr gering. Beide Lager riefen sich noch in der Nacht jeweils zum Sieger aus. In den nächsten Tagen werden Umfragen zeigen, wer richtig(er) gelegen hat. Und vor allem, wie die kleine Gruppe der noch unentschlossenen Wähler das Ereignis vor dem Wahltag am 3. November für sich einpreisen.
Bis dahin gilt: Nach der Schlammschlacht ist vor der Schlammschlacht. Am 15. Oktober geht es mit dem politischen Senioren-Wrestling in Miami weiter. Die dritte und letzte Runde ist für den 22. Oktober in Nashville vorgesehen.
Das gesamte TV-Duell in ORF-Simultanübersetzung:
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