CEU-Rektorin Randeria: "Brauchen Toleranz und globale Solidarität"

Frauen demonstrieren für Klimagerechtigkeit und fordern den Schuldenerlass für Entwicklungsländer.
Die Rektorin der Central European University (CEU) will mehr österreichische Studierende an der Uni und erinnert daran, dass man Spaltung auch überwinden kann.

Von Viktor Orbán aus Ungarn vertrieben, ist die CEU seit 2019 in Wien angesiedelt. Die Rektorin und Sozialanthropologin Shalini Randeria, früher Chefin des IWM, gehört weltweit zu den gefragtesten, weiblichen Intellektuellen aus dem Globalen Süden – weiß aber auch um die Probleme ihrer Uni.

KURIER: Frau Randeria, wie geht es der CEU in Wien?

Shalini Randeria: Wir fühlen uns hier zuhause. Die CEU hat sich in der österreichischen wissenschaftlichen Landschaft gut verankert. Die Studierenden mögen den quirligen, multikulturellen 10. Bezirk. Doch das Gebäude ist zu klein. Der Standort unseres neu zu bauenden Campus entscheidet sich im November.

Bekannt ist die CEU unter österreichischen Studierenden scheinbar nicht, die meisten Studierenden sind aus dem Ausland – gewollt?

Wir hätten gerne mehr österreichische Studierende. Wir bieten nicht nur spannende, zukunftsorientierte und interdisziplinäre Bachelorprogrammesondern alle CEU-Abschlüsse sind sowohl österreichische als auch US-Diplome. Es waren schwierige Startbedingungen, Covid hat uns wie alle Unis zur Online-Lehre gezwungen, was die Sichtbarkeit verminderte. Dass wir eine englischsprachige Uni sind, mag wohl für manche eine Hürde darstellen. Leider gibt es nach wie vor die falsche Wahrnehmung, wir seien eine elitäre Privatuni.

Ist das die CEU nicht? Die Masterstudien kosten bis zu 15.000 Euro.

80 Prozent unserer Master-Studierenden bekommen ein Stipendium oder einen Teil der Gebühren erlassen. Alle Doktoranden und Doktorandinnen bekommen Stipendien und zahlen gar keine Gebühren. Die CEU ist eine private, aber keine Eliteuni und keinesfalls gewinnorientiert.

Studierende kritisieren, die Stipendien reichten nicht für die Lebenshaltungskosten. Sie seien angewiesen auf Job neben dem Studium oder eine Familie, die unterstützt. Macht das die CEU nicht doch sehr exklusiv?

Die Kritik halte ich für nicht berechtigt.

Ja, Lebensmittelpreise und Energiekosten sind inflationsbedingt gestiegen. Die Lebenskosten waren geringer in Budapest, wo wir auch ein Studentenwohnheim hatten. Stipendien in Österreich sind im Gegensatz zu Ungarn steuerpflichtig. Aber auch die CEU hat hier erheblich höhere Kosten: Wir müssen Miete zahlen, die Gehälter sind höher. Würden wir die Stipendien erhöhen, müssten wir die Anzahl verringern. Das wollen wir nicht. Das Leitbild der Uni war immer, Studierenden aus aller Welt eine exzellente Ausbildung zu ermöglichen, ungeachtet ihrer familiären Verhältnisse.

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Eine Frau mit Brille und gemustertem Tuch posiert mit der Hand am Kinn.

 Shalini Randeria ist seit 1. September 2021 Rektorin der CEU.

Inwiefern erschwert Österreichs restriktives Aufenthaltsrecht für Drittstaaten-Angehörige dieses Leitbild?

Österreichs Regeln sind EU-Regeln, aber deren Handhabung ist beschwerlich für Studierende. In der Regel hat man mit acht bis neun Monaten Wartezeit für ein Visum aus Nicht-EU-Ländern, wo die Hälfte unserer Studierenden herkommt. In Einzelfällen haben wir stets vom Außenministerium Unterstützung bekommen, aber der Prozess bleibt kompliziert. 

Die CEU verfolgt ein politisch liberales Weltbild. Konservative werfen dieser akademischen Blase "Cancel Culture" vor. Stimmt das?

Die CEU steht für ein politisch liberales Leitbild. Den Diskurs schränkt das nicht ein, im Gegenteil: Der politische Liberalismus steht für Meinungspluralität, Toleranz. Wer diesem "Cancel Culture" vorwirft, verzerrt das Bild.

Es sind extrem rechte Positionen, die liberale, demokratische Werte und Diversität infrage stellen. Man muss sich fragen, wie viel Raum will man diesen politischen Kräften geben will, die, wenn sie an die Macht kämen, genau diese liberalen Werte unterminieren würden – das sieht man in Ungarn, Polen, der Türkei.

Menschen demonstrieren mit Schildern für Klimagerechtigkeit und gegen „Behria Town“.

Menschen protestieren für Klimagerechtigkeit in Karachi, Pakistan. Trotz seines geringen CO2-Fußabdrucks kämpft Pakistan gegen die Auswirkungen des Klimawandels, wie Überschwemmungen.

Sind wir zu intolerant?

Öffentliche Auseinandersetzung und Meinungsunterschiede gehören zu einer liberalen Demokratie. Gerade die junge Generation müssen wir ausbilden, dass sie diese Kontroversen aushält, denn in einer Demokratie muss immer um neue Mehrheiten und Kompromisse geworben werden. Anstelle eines Schwarz-Weiß-Denkens brauchen wir Toleranz für Ambivalenz, Widersprüchlichkeit muss man aushalten

Auch in der Wissenschaft gibt es oft keinen Konsens. Denken Sie an Covid: Man muss auf neue Erkenntnisse reagieren, die eigene Meinung revidieren können, statt an veralteten Thesen festzuhalten. Das als antiwissenschaftliches Argument zu nutzen, zeigt, dass man kein Verständnis davon hat, wie Wissenschaft funktioniert. Die Demokratie ist auch korrekturfähig im Gegensatz zu autoritären Regimen.

Demokratien weltweit haben es ja gerade nicht leicht. In der Politikwissenschaft gibt es die Wellentheorie, die besagt, dass auf jeden Niedergang auch ein Aufwind folgt. Glauben Sie daran?  

Davon halte ich wenig: Die Theorie impliziert, dieses Auf und Ab sei ein naturgegebenes Phänomen von außen. Das verdeckt die Tatsache, dass es innerhalb unserer Demokratien autoritäre Kräfte gibt, die liberale Werte und Prinzipien systematisch von innen aushöhlen. Diese Kräfte sind transnational gut vernetzt, lernen voneinander, verfügen über private Geldgeber und Propaganda-Maschinerien, die selbst amerikanische Wahlergebnisse oder das britische Brexit-Referendum zumindest versuchen zu beeinflussen.

Das Gebäude der Central European University mit seiner Glasfassade.

Seit ihrem Umzug aus Budapest ist die Uni  in Favoriten in der Quellenstraße 51 untergebracht. Ein neuer Campus sei dringend nötig.

Ist unsere Gesellschaft heute polarisierter als früher?

Das weiß ich nicht. Fest steht, dass Polarisierung kein Naturzustand ist. Politisch geschaffen, werden Ressentiments wie Hass gegenwärtig überall erfolgreich instrumentalisiert. Man kann aber durch politisches Handeln den Trend auch wieder umkehren. Nur: Je länger ein Zustand anhält, desto schwieriger wird es.

Was stimmt Sie angesichts der Weltlage positiv?

Anstatt in Nationalismus zu verfallen, brauchen wir mehr globale Solidarität. Die habe ich schon während der Pandemie vermisst, als Europa am Patentschutz des Impfstoffes festhielt und damit die Produktion von preiswerten Impfstoffen im Globalen Süden verhinderte. Jetzt wundern wir uns, warum die westliche Position im Ukraine Krieg von diesen Ländern nicht unterstützt wird. Auch im Kampf gegen die Klimakrise lassen wir im Westen die ärmeren Länder allein.

Was mich positiv stimmt: die Bewegungen für Demokratisierung in autoritären Staaten. Die iranischen und afghanischen Frauen oder die junge Generation in Hongkong oder Myanmar, die protestieren, während sie von uns bereits vergessen wurden; der Mut der ukrainischen Bevölkerung, die um ihr Land kämpft. Oder die Protest-Bewegung in Israel, die aus allen gesellschaftlichen Schichten besteht, und um den Erhalt der liberalen Demokratie ringt.

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