"Als Person existiere ich nicht"

Wandmalereien wie dieses Bild von Fidel Castro, aber auch Sprüche gegen die "US-Agenten" tauchen regelmäßig vor der Wohnung der Regimegegnerin in Havanna auf.
Eine Dissidentin erzählt dem KURIER über die Repressalien des Castro-Regimes.

Nein, geheim sind all diese Geheimpolizisten schon lange nicht mehr. "Inzwischen kenn ich jeden von ihnen persönlich", lacht Martha Beatriz bitter, wenn sie über die ach so unauffälligen Beobachter spricht, die an den Ecken rund um ihren Häuserblock in der Altstadt von Havanna postiert sind.

An jeden Einzelnen von ihnen hat die Dissidentin ihre Erinnerungen: Drohungen, Beleidigungen, Gewalt. Oft hat man der heute 70-jährigen ehemaligen Universitätsprofessorin auf der Straße aufgelauert, um sie ohne Angabe von Gründen festzunehmen. "Im Vorjahr bin ich fast täglich für ein paar Stunden in einer Zelle gelandet, ohne jegliche Begründung", schildert sie eine der Taktiken des Regimes. Aber auch in ihre Wohnung sind die Agenten eingedrungen, haben sie auf den Gang gezerrt und einmal sogar die Stiegen hinunter geworfen. Den mehrfach gebrochenen Arm kann sie bis heute kaum bewegen.

"Agenten der USA"

Für Zwischenfälle wie diese sind in der offiziellen Darstellung der Regierung nicht Geheimpolizisten, sondern aufgebrachte Bürger verantwortlich. Diese würden ihre Wut gegen die "Agenten der USA" auf Kuba richten. Denn Washington bleibt auch in Zeiten erster politischer Annäherung offiziell der Staatsfeind Nummer 1 für Kuba unter Castro. "Wenn ich für Washington arbeiten würde, dann würde ich wohl anders leben", deutet Martha Beatriz auf ihre kleine Wohnung: "Damit versucht das Regime nur, die Opposition als Feinde der Kubaner abzustempeln."

Mit diesem Stigma lebt die Menschenrechtsaktivistin seit 20 Jahren, fast fünf davon hat sie im Gefängnis verbracht. Dass sie heute nicht hinter Gittern, sondern in ihrer Wohnung sitzt, hat allein medizinische Gründe. Martha Beatriz erlitt 2005 im Gefängnis einen Herzinfarkt, war nicht mehr haftfähig.

Frei ist sie deshalb aber keineswegs. Sie besitzt weder Pass noch Personalausweis, hat Reise- und Berufsverbot. Das einzige Dokument, das sie besitzt, ist ein Zettel. Darin ist die Unterbrechung ihrer Haftstrafe vermerkt, die jederzeit fortgesetzt werden kann – bis 2023. "Eigentlich existiere ich als Person gar nicht, Bürgerrechte habe ich auf jeden Fall keine."

Der Kampf für eben diese Bürgerrechte stand am Anfang des Weges der Wirtschafts-Expertin. Mitte der Neunzigerjahre gründete sie mit Kollegen auf der Universität eine Gruppe "unabhängiger Ökonomen". Eine von vielen Gruppen dieser Art, wie sie damals auf Kuba entstanden: Anwälte, Ärzte, Schriftsteller. Sie alle organisierten sich, forderten vom sozialistischen Regime die überfällige Demokratisierung, wirtschaftliche Reformen ein. "Das Vaterland gehört uns allen" hieß die Streitschrift, die Martha und ihre Kollegen veröffentlichten. "Wir hatten genug, von all den Erfolgszahlen und Jubelmeldungen, die das Regime veröffentlichte. Das konnte ohnehin niemand glauben."

Aktivisten-Netzwerk

Doch die Machthaber, durch die schwere wirtschaftliche Krise des Landes ohnehin alarmiert, reagierten mit voller Härte. 1997 steckte man sie erstmals für vier Jahre ins Gefängnis, wegen "Volksverhetzung". Amnesty International bemühte sich um ihre Freilassung.

Kaum entlassen traf sie 2003 die nächste , weit größere Verhaftungswelle. 75 Dissidenten kamen hinter Gitter, Martha die einzige Frau unter ihnen. Weltweite Proteste, politischer Druck, unzählige Hungerstreiks im Gefängnis, all das half wenig. Für eine "konterrevolutionäre Anführerin", wie sie Fidel Castro mehrmals persönlich nannte, gab es keine Begnadigung. Als man sie schließlich wegen ihres Gesundheitszustandes nach Hause schickte, setzte die Regimekritikerin ihren Kampf fort – und tut das bis heute, ungeachtet aller Repressalien.

Ein Netzwerk von Aktivisten im ganzen Land liefert ihr Informationen über alle Probleme, die das Land abseits der offiziellen Propaganda hat: Von willkürlichen Verhaftungen bis hin zu Versorgungsengpässen, Dörfern ohne Strom. All das wird – über die Computerserver ausländischer Botschaften – im Internet verbreitet. "Oft bedrohen sie unsere Informanten, manchmal aber lösen sie tatsächlich die Probleme, die wir aufdecken", erzählt die Dissidentin über ihre Arbeit: "Auf jeden Fall stört es das Regime furchtbar, was wir da machen."

Kommentare