Strafverfahren gegen Böhmermann zugelassen

Jan Böhmermann.
Die deutsche Regierung gibt türkischem Antrag gegen den ZDF-Moderator statt.

Die deutsche Bundesregierung ermöglicht die Strafverfolgung gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann. "Im Ergebnis wird die Bundesregierung im vorliegenden Fall die Ermächtigung erteilen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag in Berlin.

Die türkische Regierung hatte nach einem "Schmähgedicht" Böhmermanns über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Strafverfolgung verlangt.

Merkel: Die Justiz solle "das letzte Wort" haben

Merkel sagte in einer Erklärung im Kanzleramt: „Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen.“ In Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz „das letzte Wort“ haben.

Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen TV-Show „Neo Magazin Royale“ ein Gedicht vorgetragen, in dem er den türkischen Präsidenten beleidigte. Dies sorgte in der Türkei für große Empörung. Die Bundesregierung hatte Erdogans Wunsch nach einem gesonderten Strafverfahren tagelang geprüft. An der Entscheidung waren neben Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) auch das Auswärtige Amt sowie das Innen- und das Justizministerium beteiligt.

Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des StGB

Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs (StGB). Wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, muss demnach in Deutschland mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. Merkel kündigte an, dass der Paragraf abgeschafft werden soll. Er sei „für die Zukunft entbehrlich“.

SPD-Politiker stimmten gegen Türkei-Wunsch

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas (beide SPD) haben sich von der Entscheidung Merkels distanziert. Steinmeier sagte am Freitag bei einer gemeinsamen Erklärung mit Maas, die SPD-geführten Ressorts hätten nach sorgfältiger Überlegung gegen die Erteilung der Ermittlungsermächtigung gestimmt: "Wir sind der Auffassung, dass die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß Paragraf 104a des Strafgesetzbuches nicht hätte erteilt werden sollen." Wegen der Stimmengleichheit habe die Stimme der Bundeskanzlerin entschieden.

Zuvor hatte Merkel mitgeteilt, dass die Bundesregierung "im Ergebnis" den Ermittlungen gegen Böhmermann zustimme und Differenzen zwischen Union und SPD in der Frage eingeräumt.

"Für beide Alternativen gibt es gute Gründe"

Steinmeier sprach von einer schwierigen Entscheidung: "Für beide Alternativen gibt es gute Gründe." Er betonte: "Meinungs-, Presse-und Kunstfreiheit sind höchste Schutzgüter unserer Verfassung."

Maas sagte, es handle sich um eine Ermessensentscheidung der Regierung. Im vorliegenden Fall bestehe die Besonderheit darin, dass Erdogan auch Anzeige wegen Beleidigung erstattet habe. Deshalb werde die Frage, ob es sich um Satire oder um eine strafbare Beleidigung handle, ohnehin von den Gerichten entschieden. "Und zwar unabhängig davon, ob eine Strafverfolgungsermächtigung erteilt wird oder nicht."

Erdogan hatte die Anzeige als Privatmann gestellt. Bei der Entscheidung der Regierung ging es um die Frage, ob die Justiz gegen Böhmermann auch wegen des besonderen Paragrafen ermitteln darf, der eine Schmähung ausländischer Staatsoberhäupter verbietet.

Keine Regierungskrise

Auch der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bestätigte die Uneinigkeit der Regierungsparteien im Fall Böhmermann. Eine Krise der schwarz-roten Bundesregierung sah er deswegen aber nicht: „Ich glaube nicht, dass Herr Erdogan in irgendeiner Weise die Regierung in Deutschland in Schwierigkeiten bringen kann.“ Zwar seien unterschiedliche Haltungen in der Regierung deutlich geworden, aber: „Ich finde nicht, dass das zum Schaden unserer Demokratie ist.“

Oppermann betonte, er halte die Zulassung des Strafverfahrens für falsch, auch wenn er das betreffende Gedicht des Satirikers Böhmermann über den türkischen Präsidenten inhaltlich abstoßend finde. „Strafverfolgung von Satire wegen Majestätsbeleidigung - das passt nicht in eine moderne Demokratie“, sagte Oppermann. Der türkische Staatschef Recey Tayyip Erdogan „hat alle rechtlichen Möglichkeiten als türkischer Staatsbürger, seine Ehre vor deutschen Gerichten zu verteidigen. Dazu braucht er nicht die Hilfe der Bundesregierung.“

Auch SPD für Abschaffung des Paragrafen 103

Die SPD wolle den entsprechenden Paragrafen 103 möglichst schnell aus dem Strafgesetzbuch streichen, sagte der SPD-Politiker. Man werde in der Koalition schon in der kommenden Woche darüber beraten, wie schnell wir diese Vorschrift aus dem Strafgesetzbuch entfernen können. „Es müsse auch geprüft werden, ob man dabei in laufende Verfahren eingreifen könne. Dies sei aber außerordentlich schwierig.

Journalistenverband hält Entscheidung für absurd

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) Frank Überall hat die Entscheidung der Regierung in der Böhmermann-Affäre kritisiert. "Ich finde das absurd", sagte er am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.

"Die Kanzlerin hat zwar betont, wie wichtig ihr Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit seien - allein mir fehlt der Glaube", sagte Überall. Recht habe die Kanzlerin allerdings damit, dass diese Entscheidung keine Vorverurteilung sei. "Ich hoffe, dass es gar nicht erst zu einer Anklage kommt", so der DJV-Vorsitzende. Und selbst wenn, bedeute dass nicht, dass Böhmermann zwangsläufig verurteilt werde. "Am Ende glaube ich, dass die Presse- und Meinungsfreiheit höher wiegt."

Für den TV-Sender ZDF sei es eine "politische Entscheidung"

Der TV-Sender ZDF hat die Zustimmung der deutschen Regierung für ein gesondertes Strafverfahren gegen Böhmermann als "politische Entscheidung" bewertet. Inhaltlich nahm der Sender am Freitag keine Stellung dazu und verwies auf das Justizverfahren. "Die Bundesregierung hat nach Paragraf 104a Strafgesetzbuch eine politische Entscheidung getroffen", teilte das ZDF auf Anfrage mit. "Voraussetzung einer Strafbarkeit ist aber die Erfüllung des Beleidigungstatbestands. Dazu trifft die Entscheidung der Bundesregierung keinerlei Wertung. Das ist Aufgabe der Justiz."

Kritik kommt auch von den Grünen

Die deutschen Grünen haben die Entscheidung der Regierung im Fall Böhmermann kritisiert. "Die Bundeskanzlerin war in einer schwierigen Lage, in die sie sich auch teilweise selbst gebracht hat", sagte Parteichef Cem Özdemir den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Er sei "nicht glücklich" mit der Entscheidung, auf Wunsch der Türkei ein gesondertes Strafverfahren gegen den Satiriker zuzulassen. "Es fühlt sich falsch an, dass es hier eine Sonderbehandlung gibt. Dem türkischen Präsidenten wäre auch der normale Rechtsweg offen gestanden." Die Grünen forderten ebenfalls eine Abschaffung des Pragraphen 103 Strafgesetzbuch zur Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter, der Grundlage in diesem Fall ist.

Erdogan-Gedicht darf nicht zitiert werden

Das Verwaltungsgericht Berlin hat es Demonstranten unterdessen untersagt, vor der türkischen Botschaft das umstrittene "Schmähgedicht" Böhmermanns zu zeigen oder es zu rezitieren. Das teilte das Gericht am Freitag angesichts einer geplanten Kundgebung unter dem Motto "Ziegendemo gegen Beleidigung" mit. Es bestätigte damit eine Vorgabe der Berliner Polizei.

Bei der Demo wollten laut Gericht Teilnehmer Ziegenmasken oder Kopftücher tragen und "künstlerische Schrifttafeln" vor sich aufstellen, auf denen Teile des Gedichts zu lesen sein sollten. Das Verwaltungsgericht bestätigte nun die Auflage der Polizei, die das öffentliche Zeigen und Rezitieren untersagt hatte. Das Gericht traf aber nach eigenen Angaben keine Aussage über die Strafbarkeit von Böhmermanns Handeln.

Böhmermanns Satire zeichne sich durch eine "distanzierende Einbettung in einen quasi-edukatorischen Gesamtkontext aus, um so die Grenzen der Meinungsfreiheit zu verdeutlichen", erklärte das Gericht. Im Gegensatz dazu erfülle "die isolierte Zitierung des Gedichts die Voraussetzungen einer beleidigenden Schmähkritik". In diesem Fall gehe der Persönlichkeitsschutz der Meinungsfreiheit vor.

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