Wie Jan Böhmermann zur Staatsaffäre wurde
Jan Böhmermann hat aus einem Disput zur Meinungsfreiheit zwischen Türkei und Deutschland eine Staatsaffäre gemacht. Mit einem "Schmähgedicht" über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beschäftigt er Kanzlerin Angela Merkel ebenso wie die Gerichte. Ob er angeklagt wird, liegt nun in den Händen der Kanzlerin, die sich gleichzeitig mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zu verbünden versucht. Was bisher geschah:
17. März: Eine Satire des Norddeutschen Rundfunks (NDR) in der Sendung „Extra 3“ über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan löst einen diplomatischen Eklat aus. Das Außenministerium in Ankara bestellte den deutschen Botschafter ein, um gegen den knapp zweiminütigen Film zu protestieren. DasSatiremagazin „Extra 3“ hatte den türkischen Präsidenten mit dem Song „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ auf Korn genommen. Zur Melodie von Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ wird darin Erdogans Vorgehen gegen Medien, Demonstranten und Kurden satirisch verarbeitet - Unter anderem mit der Zeile:„Ein Journalist, der irgendwas verfasst, was Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“
30. März: Die deutsche Regierung weißt den türkischen Protest offiziell zurück. Davor empören sich deutsche und europäische Politiker über das Vorgehen der Türkei.
31. März: Jan Böhmermann sendet in seiner Satire-Show „Neo Magazin Royale“ ein „Schmähgedicht“ über Erdogan. Darin verunglimpft er ihn unter anderem als Mann mit kleinem Penis und einem Hang zur Sodomie. In der Anmoderation erklärt Böhmermann, dass das, was jetzt folge in Deutschland nicht erlaubt sei.
1. April: Das ZDF entfernt die Passage aus der Sendung: Online und in der Zweitausstrahlung auf ZDF Freitagnacht ist das Schmähgedicht nicht zu sehen. „Die Parodie im “Neo Magazin Royale„ vom 31. März zum Umgang des türkischen Ministerpräsidenten mit Satire entspricht nicht den Ansprüchen, die das ZDF an die Qualität von Satiresendungen stellt“, teilte der Sender mit.
4. April: Die Kanzlerin schaltet sich ein – und schlägt sich auf Seiten der Türkei: Angela Merkel kritisiert das Schmähgedicht einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Der Böhmermann-Text sei „bewusst verletzend“.
6. April: Freiheit der Kunst? Wird juristisch zu klären sein: Die Mainzer Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, wie bekannt wird. . Dieses werde wegen des Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten geführt. Strafmaß: Bis zu drei Jahre Haft. (Ein Delikt, das das österreichische Rechtssystem nicht kennt.) Straftaten gegen ausländische Staaten werden aber nur dann verfolgt werden, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem betroffenen anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.
7. April: Auch Anzeigen gegen die ZDF-Verantwortlichen werden bekannt.
8. April: Der renommierte „Grimme-Preis“ geht an Jan Böhmermann für dessen „Varoufake“-Aktion. Außerdem erhält er einen Sonderpreis für seine Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens in der digitalen Welt. Böhmermann selbst meldet sich das erste Mal direkt zu der Affäre zu Wort – via Facebook. „Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe. Mein Team von der Bildundtonfabrik und ich bitten um Verständnis, dass wir heute Abend nicht in Marl (in der nordrhein-westfählischen Stadt wird der Grimme-Preis vergeben, Anm.) feiern können.“
10. April: Die gute Nachricht: Der Chef des Axel Springer-Verlages (Bild, Welt) , Mathias Döpfner solidarisiert sich in einem offenen Brief mit Böhmermann. „Ich finde Ihr Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht“, schreibt er in der „Welt am Sonntag“. „Dass Ihr Gedicht geschmacklos, primitiv und beleidigend war, war ja - wenn ich es richtig verstanden habe - der Sinn der Sache.“ Die schlechte Nachricht: Die Türkei verlangt tatsächlich die Strafverfolgung Böhmermanns, wie am selben Tag bekannt wird. Jetzt ist die deutsche Regierung am Zug, ob sie diesem Ansinnen statt gibt. Ein Gutachten zu dem Fall ist bereits erstellt worden, das Auswärtige Amt will die Entscheidung aber nicht alleine treffen - auch Justizressort und Kanzleramt werden miteinbezogen. Für Angela Merkel ist die Entscheidung eine Gratwanderung, da ihre Flüchtlingspolitik maßgeblich vom guten Willen Erdogans abhängt.
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