Zwangspause fürs Parlament: Johnson bereitet schon neue politische Tricks vor

Der britische Premier Boris Johnson
Der Premier will den EU-Austritt durchdrücken, Parlamentspräsident Bercow hat seinen Rücktritt angekündigt.

Boris Johnson drückt aufs Tempo. Hatte man letzte Woche noch über einige Tage taktische Verlängerung spekuliert, ist es jetzt fix. Das britische Parlament soll bereits heute Abend in eine fünfwöchige Zwangspause geschickt werden. Seine Arbeit soll es Mitte nächsten Monats wieder aufnehmen, dann wenn es für eine Kehrtwende in Sachen Brexit bereits zu spät ist.

Montag abend also werden endgültig die Weichen für finale Fahrt in Richtung Brexit gestellt. Für den Premier aber führen die vorerst völlig in die falsche Richtung: Die Neuwahl, die er anstrebt, wird wohl auch heute - so wie schon letzte Woche - vom Parlament abgelehnt werden. Endgültig verabschiedet dagegen wird das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit. Johnson also muss entweder der EU eine neue Version des Austrittsvertrages abringen, was Brüssel mehrheitlich ablehnt, oder muss die EU um eine Verschiebung des Brexit bitten. Das aber - so stellte Johnson am Montag erneut klar - bleibt für ihn weiterhin ausgeschlossen.

Also bastelt man in der Downing Street an Strategien, um die Niederlage gegenüber EU und Opposition in letzter Minute zu verhindern. Und diese Strategien, so machte ein Vertreter der Regierung deutlich, werden den Rahmen der britischen Gesetze bis zum äußersten ausnützen.

Ein Widerruf gleich hinterher

Johnson, so einer der Pläne, die man nach Informationen der britischen Presse ausgetüftelt hat, könnte zwar Ende Oktober schriftlich bei der EU um eine Verlängerung ansuchen, aber in einem weiteren Schreiben gleich danach klarmachen, dass man das eigentlich gar nicht will, und auch keinesfalls bereit ist, irgendetwas zu tun, um einen regulären Brexit möglich zu machen.

Die EU, so das Kalkül, könnte dann Johnsons Pläne ablehnen und das Land Ende Oktober aus der EU kicken - ganz so wie es der Premier eigentlich möchte. Rückenwind für Johnsons halsbrecherische Strategie könnten Staaten wie Frankreich geben, die das Land ohnehin endlich aus der EU draußen haben wollen.

Bruch der Verfassung?

In London selbst lösen die ersten Berichte über diese Pläne heftige Debatten unter Experten und Politikern aus. Manche meinen, ein solches zweites Schreiben sei irrelevant. Das von der Opposition ausgetüftelte Gesetz gegen den No-Deal-Brexit sei so wasserdicht, dass es keinen Ausweg für Johnson zulasse. Andere wiederum halten einen solchen Brief sogar für einen Gesetzesbruch.

Für noch mehr Empörung aber sorgt eine andere der von Johnsons Team erwogenen Strategien: Das Gesetz, das den No-Deal-Brexit verbietet, einfach zu ignorieren. Juristen machen deutlich, dass Johnson bei einem derartigen Gesetzesbruch sogar ins Gefängnis gehen könnte. 

Der Sprecher des Unterhauses, John Bercow, kündigte an, spätestens zum 31. Oktober von seinem Amt zurückzutreten. Sollte davor bereits eine Neuwahl ausgerufen werden, wolle er nicht mehr antreten.

Gesetz gegen No-Deal-Brexit tritt in Kraft

An diesem Montag trat das erwähnte Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit in Kraft, das vom Parlament am Freitag verabschiedet worden war. Es sieht vor, dass der Regierungschef bei der EU eine Verlängerung der am 31. Oktober auslaufenden Brexit-Frist beantragen muss, sollte bis zum 19. Oktober kein Austrittsabkommen ratifiziert sein.

Johnson lehnt eine Verlängerung jedoch kategorisch ab. Lieber wolle er "tot im Graben" liegen. Über das Gesetz will er sich trotzdem nicht hinwegsetzen. Spekuliert wird, dass die Regierung versuchen wird, anderweitig ein Schlupfloch zu finden.

Irischer Premier: "Für uns gibt es keinen Deal ohne Backstop"

Indes pocht Johnson – auf Besuch in Irland – weiterhin darauf, noch vor Ende Oktober einen Deal zustande bringen zu können. "Ich will einen Deal erreichen", sagte Johnson bei dem Treffen mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varadkar am Montag in Dublin. Dies solle ohne die Einrichtung einer festen Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland möglich sein.

Wie das umgesetzt werden soll, verriet Johnson aber nicht. Die durch Johnsons Vorgängerin Theresa May ausverhandelte Übergangslösung für die Grenze zwischen Nordirland und Irland, den sogenannten Backstop, lehnt Johnson strikt ab. Er sieht in der Klausel ein "Instrument der Einkerkerung" Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt.

Der irische Premierminister Leo Varadkar hält eine andere Lösung für unrealistisch. "Für uns gibt es keinen Deal ohne Backstop," sagte er am Montag. Der Backstop müsse juristisch verbindlich sein und könne nicht durch bloße "Versprechen" ersetzt werden, betonte er. Varadkar warf der britischen Regierung außerdem vor, der EU beim Brexit bisher keine "realistische" Alternative zur umstrittenen Auffanglösung für die Grenze zu Nordirland vorgelegt zu haben.

"Wir haben bis heute keine Vorschläge erhalten", sagte Varadkar am Montag beim Antrittsbesuch von Johnson in Dublin. Nach dem Gespräch machte Varadkar deutlich, dass man in den entscheidenden Fragen nicht wirklich weiter gekommen sei. Es gebe "signifikanten Differenzen".

Zwangspause fürs Parlament: Johnson bereitet schon neue politische Tricks vor

Boris Johnson und Irlands Premier Leo Varadkar

Kommentatoren - etwa bei der BBC - stuften seinen Ton als ein wenig moderater ein als in der Vergangenheit. Die EU und ihr Mitglied Irland fordern eine Garantie dafür, dass Kontrollposten an der Grenze zu Nordirland nach dem Brexit vermieden werden. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren. Bis eine andere Lösung gefunden wird, sollen für Nordirland weiter einige EU-Regeln gelten und ganz Großbritannien in der EU-Zollunion bleiben.

Kommentare