Nigel Farage ist kein Mann für stille Abgänge. Schon gar nicht, wenn es sich um „seinen“ Brexit handelt. Und deshalb hat er Mikrofone und Kameras vor das EU-Parlament bestellt, für den Zeitpunkt, an dem er das Gebäude das allerletzte Mal verlässt.
Der Mann, der als eine der Schlüsselfiguren für den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU gilt, hat seine Sachen gepackt, wie 72 weitere britische Abgeordnete. Am Freitag verlässt Großbritannien die EU und das wird vor allem an einem Fakt sichtbar sein: dass das Königreich keine Stimme mehr in der Gemeinschaft hat. Die Abgeordneten ziehen ab, nachdem das EU-Parlament am Mittwoch den Austrittsvertrag mit überwältigender Mehrheit angenommen hat.
1999 ist er zum ersten Mal ins EU-Parlament eingezogen. Ans Aufhören denkt Farage 20 Jahre später nicht. Leise Servus sagen? Nicht sein Ding. Die von ihm vor einem Jahr gegründete Brexit-Party wird auch nach Erreichen ihres Ziels weiterbestehen, denn den Tories könne man nicht vertrauen. „Wenn Boris Johnson nicht für einen richtigen Brexit kämpft, werden wir da sein, um sicher zu gehen, dass wir wieder auf den richtigen Weg gelangen“ – Applaus bei seinen Parteifreunden.
Nach seiner letzten Rede im EU-Parlament jubeln die übrigen Abgeordneten seiner Brexit-Partei, winken mit kleinen Union-Jack-Flaggen und rufen "Hipp Hipp Hurra". Sie werden von der Vorsitzenden ermahnt. "Geben Sie die Flaggen wieder weg. Sie verlassen uns - die Flaggen können Sie mitnehmen."
Freud und Leid
Applaus gibt es auch in einem anderen Saal des EU-Parlaments. Bei den europäischen Sozialdemokraten. Sie haben zur Verabschiedung der britischen Labour-Abgeordneten geladen. Doch hier ist niemand in Partystimmung. Tränen fließen, die roten Abgeordneten umarmen einander und verkünden Durchhalteparolen.
„Es gibt Momente in der Geschichte, die einen stolz machen. Und solche, die einen traurig machen“, sagt Frans Timmermans und lässt keinen Zweifel, welcher dieser Momente der Brexit für ihn ist. Er gibt zu, dass er den Austritt „seit dem Referendum nicht wahrhaben wollte“, dass er auf „ein Wunder“ gehofft hatte.
Das übergeordnete Motto bei den Sozialdemokraten: „Es ist kein Goodbye, sondern ein Auf Wiedersehen.“ Eines Tages werde Großritannien entscheiden, zurückzukommen, hofft auch Timmermans.
"Unendlich traurig"
Am Gang umarmt Katarina Barley von der SPD ihren Labour-Kollegen Richard Corbett, Vizepräsident der S&D. Es sei besonders traurig, sagt sie zum KURIER, weil sie ja auch halbe Britin sei. „Unendlich traurig“ findet es auch Andreas Schieder von der SPÖ. Wie er sind alle hier sicher: „Der Brexit wird sein Versprechen nicht einlösen.“
„Herzzerreissend“ aber auch „herzerwärmend“ seien die vergangenen Tage gewesen, sagt Corbett zum KURIER. Auch er hat gepackt. Er trägt einen Schal mit Eintritts- und Austrittsdatum der Briten, auf der Rückseite steht „Always United“, für immer vereint.
Nach der Abstimmung im EU-Parlament am Mittwochabend stehen etliche Abgeordnete auf, um die schottische Abschiedshymne "Auld Lang Syne". Tränen fließen, Abgeordnete herzen einander, Fotos werden geschossen. Manche der britischen Abgeordneten stehen seit Jahrzehnten im Dienst der EU. Den Trennungsschmerz kann man spüren.
Viel kürzer waren die meisten Brexit-Abgeordneten hier. Zum Beispiel Andrew Kerr. „Ehrlich gesagt hätte ich gedacht, dass meine Amtszeit länger dauern wird als bis morgen“, sagt der Unternehmer. Er ist zwar glücklich, dass das mit dem Brexit jetzt doch so schnell funktioniert.
Doch eines macht auch ihn traurig: dass in diesen Tagen niemand darüber rede, warum die Briten eigentlich austreten. „Sie werden schlicht und einfach gar nichts aus der Geschichte lernen“, sagt Kerr, der ab Montag wieder seinem ursprünglichen Job nachgehen wird.
Auch Martina Anderson weiß, was sie nach dem Ende ihrer Amtszeit im Europaparlament machen wird. Die Nordirin ist seit sieben Jahren und sieben Monaten EU-Abgeordnete. Sie habe "davor und währenddessen" für die Einheit Irlands gekämpft und werde das "auch weiterhin tun".
Im Gegensatz zu vielen britischen Abgeordneten, die erst nach dem Brexit am Freitag abreisen, wird Anderson schon ab Donnerstag wieder zuhause sein. "Ich will bei meinen Leuten sein, den Leuten, die mich gewählt haben." Für sie ändere sich enorm viel. "Sie verlieren ihre politische Stimme, ihre Vertreter und den Vorteil, EU-Bürger zu sein." Für Anderson ändert sich nicht viel mit dem Ende ihrer Tätigkeit im EU-Parlament, meint sie.
Bei Richard Corbett ist es anders. Was der Vollblut-Politiker der Labour jetzt machen wird, weiß er nicht. „Ich spare auf ein Pferd“, sagt er, „um gen Sonnenuntergang zu reiten“. Er schmunzelt. Eines – da sind sich hier fast alle einig – wird hier schmerzlich fehlen: der britische Humor.
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