Brasiliens Lula da Silva: Vom Präsidenten zum Häftling und zurück

Brasiliens Lula da Silva: Vom Präsidenten zum Häftling und zurück
Der 77-jährige tritt am Sonntag seine dritte Amtszeit als Staatschef an. Es ist die Krönung einer äußerst turbulenten Karriere, die ihn jetzt schon zu einem der bedeutendsten Politiker des Landes macht.

„Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk“, rief Luiz Inácio da Silva nach der haarscharf gewonnenen Stichwahl am 31. Oktober vor Tausenden Unterstützern in São Paulo. Dem 77-Jährigen, der stets mit seinem Spitznamen Lula gerufen wird, schien bewusst, wie sehr der hasserfüllte Wahlkampf mit seinem Widersacher Jair Bolsonaro das Land gespalten hat.

Diesen Riss wieder zusammenzufügen, dürfte die große Herausforderung seiner dritten Präsidentschaft werden, die er am Sonntag antritt.

Verlorener Finger als Symbol

Aus Sicht seiner Anhänger hat der Linke in seiner Karriere schon oft das Unmögliche möglich gemacht. Er schaffte es aus der Armut an die Spitze des Landes, landete anschließend im Gefängnis und ist nun erneut Staatsoberhaupt.

Lula wurde als siebentes von acht Kindern im verarmten Nordosten Brasiliens geboren, wuchs in der Industriestadt São Paulo auf. Der Vater verließ die Familie früh; Lula musste als Siebenjähriger gemeinsam mit seinen Geschwistern als Schuhputzer arbeiten, um über die Runden zu kommen.

Mit 15 Jahren brach er die Schule ab, um in einer Metallfabrik anzufangen. Dort verlor Lula bei einem Unfall einen kleinen Finger in den Zahnrädern einer Maschine. Seine linke Hand wird von seinen Anhängern noch heute als Zeichen dafür gewertet, dass Lula die Leiden der Arbeiterschicht am eigenen Leib erfahren musste.

Brasiliens Lula da Silva: Vom Präsidenten zum Häftling und zurück

Lulas Markenzeichen: Seine Hand

Während der Militärdiktatur in Brasilien in den Siebzigerjahren stieg Lula zum Vorstand der Metallergewerkschaft auf. Als er 1980 Streiks in mehreren Großstädten organisierte, wurde er für 31 Tage inhaftiert.

Im Gefängnis soll Lulas Entscheidung gefallen sein, in die Politik zu gehen. Er gründete gemeinsam mit anderen Gewerkschaftern die Partei der Arbeiter (PT) und zog sechs Jahre später, nach dem Ende der Diktatur, in das Parlament ein.

Sieg mit Anzug und Krawatte

Seit 1989 trat Lula für seine PT bei jeder Präsidentenwahl an. Erst 2002, als er erstmals mit Anzug und Krawatte auftrat, gelangte er in die Stichwahl – und gewann umgehend. Oberstes Ziel seiner ersten Präsidentschaft war die Bekämpfung von Armut und Hunger. Damit hatte Lula großen Erfolg.

Brasiliens Lula da Silva: Vom Präsidenten zum Häftling und zurück

Vor genau 20 Jahren: Präsident Luiz Inácio da Silva fährt zu seiner ersten Angelobung in Brasília 

Innerhalb von vier Jahren verringerte sich der Prozentsatz jener, die in Brasilien unterhalb der Armutsgrenze lebten, von 40 auf 20 Prozent. Als „Held der Favelas“ bezeichnet, war sich Lula damit auf Jahre hinaus der Unterstützung der armen Bevölkerung im Norden und Nordosten Brasiliens sicher. Das sicherte ihm 2006 seine deutliche Wiederwahl.

Obwohl sich viele Industrielle zuvor offen vor einem linken Präsidenten gefürchtet hatten, erlebte Brasilien unter Lula einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufstieg. Das Land wurde zur achtgrößten Volkswirtschaft der Welt und zur mit Abstand größten Lateinamerikas.

Korruptionsskandal

Nach seiner zweiten Amtszeit folgte der Knick in Lulas Karriere. Von 2011 an arbeitete die brasilianische Justiz intensiv an der Aufarbeitung eines Korruptionsskandals. Der schwerste Vorwurf: Als Präsident soll Lula dem brasilianischen Bauriesen Odebrecht lukrative Aufträge im In- und Ausland verschafft haben. Als Gegenleistung soll der Konzern unter anderem kostenlose Bauarbeiten in dessen Appartement im Wert von mehr als 1,1 Millionen US-Dollar durchgeführt haben.

Lula bestreitet das und sprach stets von einem politisch motivierten Verfahren, das ihn daran hindern sollte, erneut als Präsident kandidieren zu können.

Am 12. Juli 2017 sprach Bundesrichter Sergio Moro sein Urteil: Zwölf Jahre Haft für Lula, den er der Korruption und Bestechung für schuldig befand. Der Ex-Präsident musste ins Gefängnis, ein Jahr später siegte der Rechtsextreme Jair Bolsonaro bei den Präsidentschaftswahlen – und ernannte Moro zum Justizminister.

"Nur noch Liebe"

2019 veröffentlichte das US-Medium The Intercept von Moro verschickte Textnachrichten, die belegen sollen, dass sich der Richter mit Vertrauten Bolsonaros abgesprochen habe, um Lulas Kandidatur bei den Wahlen 2018 zu verhindern. Moro blieb zwar Justizminister, der Oberste Gerichtshof erklärte ihn aber für befangen und hob das Urteil auf.

Als Lula am 7. November 2019 nach mehr als zwei Jahren das Gefängnis in Curitiba verließ, sagte er vor einer jubelnden Menge: „Ich gehe ohne Hass. Mit 74 Jahren ist in meinem Herzen nur noch Platz für die Liebe, denn sie wird in diesem Land siegen.“

Auch an dieser Aussage wird seine dritte Präsidentschaft wohl gemessen werden.

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