Obamas Charmeoffensive in Berlin
Es hätte kaum mühsamer sein können: 35 Grad im Schatten, und in der Sonne noch viel, viel mehr: Die Hitze und das von den gigantischen Sicherheitsmaßnahmen stundenlang lahmgelegte Stadtzentrum waren mehr Thema bei den Berlinern als ihr größter Stargast des Jahres. Obwohl der mächtigste Mann der Welt endlich nach fünf Jahren Amtszeit den schon rituellen Besuch jedes US-Präsidenten in ihrer Stadt absolvierte. Und nicht nur wegen der sengenden Sonne hatte auch Barack Obama einen anstrengenden Tag.
Nach der Nacht im US-Luxushotel Ritz Carlton mit Sicht auf Reichstag und Brandenburger Tor, wo seine Familie und seine Delegation die obersten zwei Stockwerke belegte, traf er zuerst Bundespräsident Joachim Gauck. In dessen Amtssitz, Schloss Bellevue, legten beide gleich den Arm auf den Schulter des anderen, und auch sonst wurde Vertrautheit und amerikanisch lässige Freundlichkeit demonstriert. Das Gespräch dauerte länger als die geplante Stunde, ebenso wie das mit Kanzlerin Merkel im Kanzleramt direkt danach. Auch hier wurden die auch beim Wähler gern gesehenen Gesten der Freundschaft, Dauerlächeln und kleine Scherze ausgetauscht.
Freihandel
In der Pressekonferenz danach, auch die länger als geplant, wurde darüber berichtet: Merkel sprach vor allem über ihre Nachfragen zur Internet-Überwachung der USA, die im Datenschutz-hysterischen Deutschland noch mehr Empörung als in anderen Ländern hervorruft. Obama verteidigte wortreich das „Prism“-Programm, das trotz vieler Anfragen aus Europa zuvor erst durch einen Angestellten verraten wurde: Es sei die ganz normale Überwachung, redete Obama die bis dato streng geheime Operation klein. Beide Länder profitierten davon, alles sei rechtmäßig.
Als echte Nachricht des Tages sozusagen verkündete Merkel, dass die Verhandlungen zur Freihandelszone EU-USA „begonnen haben“, was sich wohl mehr auf inhaltliche Vorgespräche mit Obama als auf die formellen Verhandlungen beziehen konnte. Bei der Internet-Bespitzelung mahnte sie immerhin „Verhältnismäßigkeit“ an.
Nach einem kleinen Mittagessen unter vier Augen, wo die sehr gut Englisch sprechende Merkel auch die Dolmetscher zeitweise aus dem Raum schickte, dann der Höhepunkt des 25-Stunden-Trips Obamas: Die Rede mit dem Brandenburger Tor als Hintergrund-Kulisse, diesmal nach Osten gerichtet.
Zu Beginn dankte Merkel „den USA dafür, dass es heute wieder geöffnet ist.“ Jubel brandete immer wieder auf am Pariser Platz. Den hatten bis dahin einige hundert der 4000 geladenen und seit drei Stunden wartenden Zuhörer schon wieder verlassen, denn Schirme und Wasserflaschen waren wegen der Sicherheitsvorschriften verboten.
Die Rede Obamas war wie immer rhetorisch mitreißend wie die eines Predigers.
Obama streifte die umstrittenen Themen Guantanamo und Internet-Überwachung nur. Es sei eine seiner „Weltverbesserungsreden“ gewesen, nichts, was man noch nicht gehört hätte, so die ersten Kommentare von Amerikanern. „Inhaltlich dürftig“, kommentierten auch deutsche Beobachter. Nicht einmal sein Vorschlag, die Atomarsenale um ein Drittel zu verringern, wurde als realistisch aufgenommen: Obama habe nicht einmal ein Datum genannt, wann die USA die schon von vielen anderen Ländern unterschriebenen Abrüstungsverträge ratifizieren würden.
Vorgänger unerreicht
Entgegen vielerlei Erwartungen nahm Obama auch keinen „historischen“ Satz in den Mund, wie mehrere seiner Vorgänger an der Stelle. An deren Reden hier kam die Obama -Rede nicht heran.
Sein Besuch ging am Abend mit einem von Merkel gegebenen Essen im Schlosses Charlottenburg zu Ende. Dort waren auch wieder seine Frau Michelle und ihre beiden Töchter dabei, die tagsüber ein Sonderprogramm zum Besuch von Berlins Mitte zusammen mit Merkels Ehemann Professor Joachim Sauer absolviert hatten.
Obamas Berlin-Rede 2008 war ein einziges riesiges Versprechen und gipfelnd im genialen Spruch: „Yes, we can“. Es war der beste US-Slogan, den Berlin seit dem „Tear down this wall, Mr. Gorbatschow!“ (Reißen Sie diese Mauer nieder) von Ronald Reagan gehört hatte.
Während die von ihm militärisch stark unterlegte Aufforderung rascher eine friedlichere Weltordnung brachte als weithin erwartet, erleben die Obama ergebenen Deutschen nichts von dessen Visionen: keine Runderneuerung der US- und Weltpolitik. Die USA sind unter ihm kaum besser, ja, nicht einmal ehrlicher geworden. Dafür verspotten ihn Anhänger des hier gehassten Vorgängers George W. Bush als „All Lips“ („dicke Lippe“, „Großmaul“).
Obamas zweite Berlin-Rede war rhetorisch wieder gut, gibt denen aber recht: Als Hauptinhalt Atomwaffen zu reduzieren, klingt zwar nett, ist aber weder „historisch“ noch relevant. Klar, die alten Gegensätze, an deren heißestem Schnittpunkt Berlin lag, sind Geschichte. Heute sind es andere. Doch Lösungen für die Konflikte zeigte Obama nicht einmal perspektivisch auf.
Das Motto des Jazzfests Berlin 2008 war „Jazz we can“. 2013 passt „All Lips“.
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