Bosnien-Herzegowina: "Wann kommt der nächste Krieg?"
"Was denken Sie, wann kommt der Krieg?" Die Frage des Taxifahrers am Flughafen Sarajevo überrascht. Fast 100.000 Tote hatte der Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 gekostet. Und jetzt soll es schon wieder losgehen?
Der Mann ist nicht der Einzige, der sich fürchtet. Ein Lokalaugenschein in der Hauptstadt Sarajevo ergibt ein beunruhigendes Bild. Mit Hakenkreuzschmierereien provozieren faschistische Ustascha-Kroaten muslimische Mitbürger. Radikale Muslime wiederum huldigen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Gerüchte um angebliche Terrorcamps verunsichern die Öffentlichkeit. Propaganda und gegenseitiges Vernadern beherrschen den Alltag. Das Klima ist 20 Jahre nach Kriegsende noch immer vergiftet.
Und jetzt kommt zu den etwa 3,8 Millionen Bosniaken, Kroaten und Serben eine neue Konfliktpartei dazu: arabische Wahhabiten. Wie berichtet, ist Bosnien-Herzegowina derzeit Schauplatz einer beispiellosen Investitionswelle der Scheichs von der arabischen Halbinsel. Investoren aus Saudi-Arabien, Katar und Kuwait kaufen gigantische Landflächen, bauen ganze Städte und sind inzwischen auch die größten Arbeitgeber im Land.
Radikale Heilslehre
Die Wahhabiten haben einen unübersehbaren Hang zur Missionierung, wie etwa die Aktivitäten der "Saudischen Hohen Kommission" nach dem Krieg bewiesen. Die Wahhabiten erwarten von ihren Mitarbeitern, dass sie ihre rigorose Heilslehre samt den extremen Bekleidungsvorschriften übernehmen.
Bisher haben Radikale unter den 2,5 Millionen, äußerst moderaten bosnischen Muslimen keine große Rolle gespielt. Das bosnische Innenministerium schätzt die Zahl der Wahhabiten – die von einigen Religionsgelehrten mit Salafisten gleichgesetzt werden – auf "nicht mehr als 5000". Das kann sich nun rasch ändern. Allein für Trnovo, wo eine Touristenstadt für 40.000 Menschen entsteht, kündigt der Investor aus den Emiraten die Beschäftigung von 10.000 Einheimischen an. Das bedeutet, dass alleine dieses Projekt die Zahl der bosnischen Wahhabiten-Gemeinde verdreifachen könnte.
Mit viel Mühe konnten die Bosniaken in den vergangenen Jahren jene El-Kaida-affilierten "Gotteskrieger", die durch den Krieg ins Land gekommen waren, wieder loswerden. Doch bei den nun einströmenden Milliardären ist das nicht so leicht. Die Bosniaken fürchten eine wirtschaftliche Zwangsmissionierung. Vor der König-Fahd-Moschee erzählt ein Händler, dass durch die Moscheen wieder eine "unsichtbare Linie" gehe. "Auf der einen Seite die Radikalen, auf der anderen Seite wir. Wir reden nicht miteinander. Aber wir wissen, dass sie uns hassen."
Das führt zu Gerüchten. Aus Gradacac wird berichtet, dass wahhabitische Konvertiten 400 US-Dollar monatlich bekämen. Beweis gibt es keinen. Doch das Internet-Portal Vesti ist sicher, dass das Geld aus Saudi-Arabien stammt.
Der Wahhabismus gilt als Nährboden für islamistischen Terror. Zellen mit Verbindungen zur Terrormiliz IS wurden in Gornja Maoca, Zenica, Bihac und Brcko geortet. Der bosnische Nachrichtendienst OSA und die Polizei des sonst kaum funktionierenden Staates gingen mit ungewohnter Effektivität dagegen – unterstützt von Polizei-Verbindungsoffizieren aus Deutschland und Österreich. Die Dörfer sind alle wieder unter Kontrolle, die Anführer sitzen in Haft.
Dennoch bleibt das Misstrauen auch gegenüber den Behörden. "Es kommt noch so weit, dass wir in der Öffentlichkeit Schweinefleisch essen und Alkohol trinken müssen, um den Behörden zu zeigen, dass wir keine bösen Muslime sind so wie die Radikalen. Das kann aber ja auch nicht sein", klagt eine junge Frau dem KURIER.
Diese Entwicklung ist Wasser auf die Mühlen des Serben-Präsidenten Milorad Dodik. Der Serbenführer, dem Abspaltungstendenzen von Bosnien nachgesagt werden, will von einem arabischen Geheimplan wissen, der die Ansiedlung von 500.000 Wahhabiten vorsehe.
Warnungen
Aber auch weniger befangene Politiker, wie der österreichische Außenminister Sebastian Kurz, warnen vor islamistischen Tendenzen. Kurz sprach in diesem Zusammenhang von einer Einflussnahme Saudi-Arabiens.
Gar nicht beruhigt hat den Taxilenker vom Flughafen sicher auch nicht die Aussage der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die Anfang November vor militärischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan gewarnt hatte. Sie bezog sich auf Verwerfungen zwischen den Balkan-Staaten im Zuge der Flüchtlingskrise.
Und mit ziemlich drastischen Worten geißelte der ehemalige UN-Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, Paddy Ashdown, Anfang November die internationale Staatengemeinschaft wegen ihrer Untätigkeit: "Nur ein Verrückter kann die Wolken des Sturms nicht bemerken."
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