Zwar gibt es Grüne, die seine sozialpolitische Arbeit in Tübingen loben und seine Äußerungen damit entschuldigen, dass ihm an mancher Stelle "das Gespür fehle". Doch für viele andere hat er das Fass längst zum Überlaufen gebracht - und sei ein Narzisst, der die Partei nur zur Profilierung nütze. Wäre der Kommunalpolitiker kein Mitglied der Grünen und verlässlicher Garant für Aufreger, würde er wohl nicht so oft in Talksendungen sitzen, heißt es.
Mehrmals haben ihn Grüne in den vergangenen Jahren zum Rücktritt aufgefordert. Etwa, nachdem er sich 2019 öffentlich über die Vielfaltskampagne der Deutschen Bahn empörte, die unter anderem Menschen mit Migrationshintergrund zeigte. Laut Palmer bildet das nicht die Gesellschaft ab. Ein anderes Mal beschwerte er sich im Netz über nicht ordnungsgemäßes Fahrradfahren eines Mannes mit dunkler Hautfarbe, den er prompt als "Asylwerber" einstufte. Für seine Parteifreunde schwingt dabei stets eines mit: Rassismus.
Erst Eskalieren, dann entschuldigen – und wieder nachlegen
Was dann passiert, folgt stets dem gleichen Muster: Palmer entschuldigt sich und legt wieder nach. So wie nach seinem Sager über den Umgang mit Corona-Patienten ("Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr wegen ihres Alters oder wegen schwerer Vorerkrankungen sowieso tot wären"). Nach einer ersten Entschuldigung, erklärte er wiederum, sein Satz sei "sachlich nicht falsch".
Auch in der aktuellen Diskussion räumte der 48-Jährige Fehler ein: "Natürlich wäre es wohl gescheiter gewesen, es gar nicht zu posten", sagte er gegenüber der Bild-Zeitung. Gleichzeitig warf er seiner Partei Ausgrenzung vor: "Argumente in der Sache sind mir immer willkommen, ich wehre mich gegen Ausgrenzung und Denunziation", beschwerte er sich und kritisierte, dass sich Teile der politischen Führung einer "linken Identitätspolitik" verschrieben hätten.
Schwieriges Ausschlussverfahren
Damit stellt er seine Partei mitten im Bundestagswahlkampf vor eine schwierige Herausforderung. Lange hatten sich die Grünen gegen ein Ausschlussverfahren entschieden, Palmer lediglich die Unterstützung entzogen und ermahnt – wohl in der Hoffnung, er möge von selber gehen. Ein möglicher Grund: Bei der SPD konnte man sehen, wie schwierig so ein Verfahren sein kann. Jahrelange versuchte diese, Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin wegen rassistischer Aussagen und parteischädigenden Verhaltens auszuschließen. Erst im Juli 2020 klappte es nach dem dritten Anlauf. Sarrazin selbst nutzte die Zeit bis dahin für Auftritte, schrieb ein Buch nach dem anderen und stilisierte sich als Outlaw, den die Partei mundtot machen wolle.
Auch bei Boris Palmer ist damit zu rechnen, dass er die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Nicht umsonst empfahl er seinem Landesverband, dem Antrag auf Ausschluss zuzustimmen. Dann habe er endlich die Gelegenheit, sich gegen die Anwürfe zu verteidigen, sagte Palmer. In einem Beitrag für die "Welt am Sonntag" schrieb er gleich darauf: "Ich kann Ächtung und Existenzvernichtung wegen angeblich falscher Wortwahl niemals akzeptieren. Das beschädigt den Kern der liberalen Demokratie."
Der politischen Konkurrenz könnte das Palmer-Ausschlussverfahren im Wahlkampf jedenfalls gelegen kommen, sämtliche Themen würden damit überschattet – auch weil sich das Verfahren nicht in wenigen Wochen erledigen lässt. Selbst die Südwest-Grünen rechnen damit, dass es zwischen drei und sechs Monate dauern könnte, berichtet die deutsche Presseagentur. Sollte ihn die Kreisschiedskommission Tübingen ausschließen, könnte Palmer binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe des schriftlichen Beschlusses das Landesschiedsgericht anrufen. Danach wäre noch eine Berufung vor dem Bundesschiedsgericht möglich. Eine Gelegenheit, die er vermutlich nicht auslassen wird.
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