Bolsonaro ruft zu landesweiten Protesten auf
Fahnen schwenkende Demonstranten, wild hupende Autos: Es ist ein chaotisches Bild, das sich am Montag, dem Vorabend des brasilianischen Unabhängigkeitstages, auf den Straßen der Hauptstadt Brasília bot. Unterstützer des rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro durchbrachen eine Polizeiabsperrung und gelangten auf die aus Sicherheitsgründen gesperrte Allee, die zum Kongress und zum Obersten Gerichtshof des Landes führt. Jenes Gerichtshofes, der gegen den Präsidenten wegen Korruption ermittelt. „Wir sind gerade hereingestürmt“, ruft einer der Demonstranten in einem Video. „Die Polizei konnte die Menschen nicht zurückhalten.“ Er kündigte an, dass die Demonstranten am Dienstag auch das Oberste Gericht stürmen wollten.
Schon vor dem 7. September – an diesem Tag wird die Erlangung der Unabhängigkeit Brasiliens 1822 gefeiert – hatte Bolsonaro seine Anhänger zu landesweiten Protesten aufgerufen. Allein in Brasília rechnete man mit 200.000 „Bolsonaristas“ auf der Straße, in São Paulo sollten es sogar noch mehr werden.
Machtdemonstration
Die Botschaft, die hinter dem Aufruf steckt, ist eindeutig: Bolsonaro will den Eindruck vermitteln, das Volk stehe hinter ihm – anders als es die aktuellen Zustimmungswerte aussagen. Denn den jüngsten Umfragen zufolge könnten die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr zuungunsten Bolsonaros ausgehen: Der linksgerichtete Ex-Präsident Lula da Silva, der Brasilien von 2003 bis 2011 schon einmal regierte, liegt in nahezu allen Prognosen vorne. Einige Umfragen sagen sogar einen klaren Erfolg Lulas im ersten Wahlgang voraus. Das politische Ende von Brasiliens rechtspopulistischem Präsidenten Jair Bolsonaro scheint näher zu rücken.
Kampflos gibt sich der Präsident nicht geschlagen, er setzt auf Demagogie: In den vergangenen Wochen hatte er immer wieder provoziert und mit Militärparaden vor wichtigen Gerichtsentscheidungen Druck ausüben und einschüchtern wollen. Bislang aber hält die Gewaltenteilung diesem Druck stand. Für den Unabhängigkeitstag waren sogar ein Militärputsch und Attacken gewaltbereiter rechtsextremer Anhänger befürchtet worden.
Quittung für Corona
Bolsonaros Umfragewerte sind eine Quittung für die miserable Leistungsbilanz seiner bisherigen Amtszeit. Vor allem das katastrophale Corona-Management wird er nicht mehr los: Fast 600.000 Tote sind eine Zahl, die so hoch ist, dass fast jede Familie in Brasilien in ihrem unmittelbaren und entfernteren Umkreis mit einem Todesfall konfrontiert ist.
Besonders in den Armenvierteln, wo die Menschen aufgrund beengter Wohnverhältnisse kaum die empfohlenen Maßnahmen wie Abstandhalten einhalten können, ist die Wut auf den Präsidenten groß, der die Hygieneschutzmaßnahmen meistens verspottete. Die Wirtschaft ist abgestürzt, die Arbeitslosenquote hoch. Die Mitglieder des Familienclans sind mehr und mehr mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, das Image Bolsonaros als Saubermann und Hardliner ist auch in den eigenen Reihen zerstört.
Chancenlos
„Bolsonaro hat den Institutionen nie vertraut“, sagt Politik-Wissenschaftler Roberto Gulart von der Universität Brasília im Gespräch mit dem KURIER. Seine politische Vergangenheit zeige, dass er selbst kaum Projekte vorgeschlagen habe. „Aber es ist ihm gelungen, ein Gefühl der Stärke zu katalysieren, die die Probleme lösen wird“, analysiert Gulart. Deswegen sollte nun eine gewaltige Machtdemonstration seine Wahlchancen retten.
Das alleine wird jedoch nicht reichen: Ohne eine spürbare wirtschaftliche Erholung, die den Menschen eine Perspektive verspricht, sind seine Wiederwahl-Bestrebungen aus heutiger Sicht aussichtslos. International ist er wegen seiner umstrittenen Umweltpolitik isoliert, sein Vorbild Donald Trump ist nicht mehr im Amt. Bolsonaro steht mit dem Rücken zur Wand – und das ist in der Politik immer gefährlich.
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