Bereits über 300 Tote: Druck auf Hamas wächst

Immer mehr Palästinenser trauern um ihre Angehörigen. Sie werden aufgefordert ihre Häuser zu evakuieren
Die radikalen Palästinenser haben eine Waffenruhe mit Israel bisher abgelehnt.

Auch der dritte Tag der israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen schwächte die Wucht der Auseinandersetzung mit der militanten palästinensischen Hamas nicht: Im Gazastreifen stieg die Zahl der Getöteten auf 338, die der Verletzten auf 2.380. In Südisrael schlugen erneut mehr als 100 Raketen ein. Ein Beduine in der Negev-Wüste wurde getötet, mehrere Kinder verletzt.

Ziel der Bodenoperation ist laut Regierung vor allem die Aufspürung von Angriffstunneln nach Israel. Mehrfach versuchten seit Beginn der jüngsten Kämpfe vor zwölf Tagen Hamas-Bewaffnete aus diesen Anlagen heraus, Angriffe auf Dörfer durchzuführen. Was die Armee durch elektronische Überwachung in letzter Minute verhindern konnte. Neun Tunnel wurden bislang entdeckt. Experten vermuten Dutzende weitere.

Die Hamas operiert in den letzten Jahren weitgehend unterirdisch. In Kellern überall im Gazastreifen versteckt sie Vorräte und Abschussrampen. Ihre derzeitige Abschussfrequenz mit 150 Raketen pro Tag kann sie noch Monate aufrecht erhalten, so Schätzungen. Die Hamas hat aber in den letzten Monaten Hunderte Schmuggel-Tunnel aus dem ägyptischen Sinai nach Gaza durch Sucheinsätze der ägyptischen Armee verloren. Was die Aufstockung der Vorräte jetzt stark behindert.

Viele zivile Opfer

Über die Verluste der Hamas gibt es nur Schätzungen. So werden die Namen der Getöteten geheim gehalten. Was eine Unterscheidung zwischen Zivilisten und Bewaffneten verhindern soll. Nach Hamas-Angaben ist die Zahl der Zivilopfer höher als die der Kämpfer. Israel berichtet gegenteiliges. Doch auch Israels Armeesprecher schätzt, dass mehr Zivilopfer zu beklagen sind als bei den Kämpfen 2009.

Ägypten bemüht sich, eine Waffenruhe zu vermitteln. Ein erster Vorschlag wurde von der Hamas abgelehnt. Er forderte eine Waffenruhe noch vor Gesprächen über Zugeständnisse. Es gibt Anzeichen dafür, dass die politische und die militärische Führung in Gaza dazu bereit waren. Es war Chaled Maschal, Hamas-Auslandschef, der abblockte.

Nun verstärkt sich der internationale Druck auf die Hamas. Mit einer Waffenruhe ist in den nächsten Tagen nicht zu rechnen. Wie auch bei früheren Waffengängen werden die Bilder des wachsenden Leidens der Bevölkerung in Gaza entscheiden. Dieses Mal jedoch wird die Schuld verstärkt der Hamas zur Last gelegt werden.

15.000 Menschen in London

Am Samstag hat in London einer der größten Protestkundgebungen seit Ausbruch des Israel-Gaza-Konflikts stattgefunden. Nach Informationen des britischen Guardian haben bis zu 15.000 Menschen an der Demonstration gegen die israelischen Angriffe im Gazastreifen teilgenommen.

Bereits über 300 Tote: Druck auf Hamas wächst
epa04322516 Tens of thousands of pro-Palestinian demonstrators gather outside Downing Street during a protest in London, Britain, 19 July 2014. Israel is to expand its ground operation to southern Gaza, military officials said 19 July, while medics said at least 80 Palestinians have died since infantry soldiers entered the coastal enclave. Since the start of Israel's offensive in Gaza on July 8, which it says is aimed at ending rocket fire and destroying tunnels leading into Israel, at least 333 Palestinians have been killed and more than 2,380 wounded. EPA/ANDY RAIN

Lichtblitze und Leuchtmunition am Himmel, massiver Artillerie- und Granatenbeschuss aus der Luft und vom Mittelmeer her: Das war in der Nacht auf Freitag das Begleitfeuer und Signal für den Beginn der israelischen Bodenoffensive im Gaza-Streifen. Durch ein von den Israelis geöffnetes Tor im Grenzzaun rollten zum ersten Mal seit mehr als fünf Jahren israelische Panzer in das palästinensische Gebiet, aus dem in den vergangenen Tagen radikale Palästinenser Hunderte Raketen auf Israel abgefeuert hatten.

"Wir setzen auf sehr viel Feuerkraft", sagte ein Armeesprecher. Ergebnis: Alleine in den ersten 24 Stunden starben Dutzende Menschen, Häuser wurden zerstört. Die Armee berichtete von 150 angegriffenen Zielen, darunter verborgene Raketenwerfer, eine Waffenfabrik und mehrere Tunnel.

Israel betont, es plane nur einen begrenzten Einsatz seiner Bodentruppen mit klaren Zielen. Gleichzeitig hat das Militär aber knapp 70.000 Soldaten mobilisiert. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sprach am Freitag auch von der Möglichkeit einer "ernsthaften Ausweitung der Bodenaktivitäten".

Israel verfolgt drei Ziele

Es will den Raketenbeschuss seiner Städte unterbinden. Dies ist in zehn Tagen massiver Bombardements aus der Luft im Rahmen der Offensive "Zuk Eitan" (Fels in der Brandung) bisher nicht gelungen. Jeden Tag heulen weiter landesweit die Alarmsirenen, auch über Tel Aviv wurden bis zu drei Mal täglich Geschosse aus Gaza abgefangen.

Das zweite Ziel ist die Zerstörung eines möglichst großen Teils Hunderter unterirdischer Tunnel der Hamas, vor allem an der Grenze zu Israel, die unter anderem Terror-Zwecken dienen. Sie seien eine "riesige Bedrohung", erklärte der israelische General Gad Schamni, früherer Kommandant der Gaza-Division, am Freitag. Erst in der Nacht auf Donnerstag hatten 13 schwer bewaffnete Palästinenser versucht, auf israelisches Gebiet zu gelangen.

Das dritte Ziel ist laut Schamni, mit dem Bodeneinsatz gegen Hamas-Ziele auch den Verhandlungsspielraum der radikal-islamischen Organisation bei Gesprächen über eine Waffenruhe zu reduzieren. "Wir brauchen eine Vereinbarung mit einer schwächeren und gezügelten Hamas, aber auch mit einer Hamas, die noch etwas zu verlieren hat", sagte er.

"Tor zur Hölle"

Für Israels Militär werde es das "Tor zur Hölle" werden, drohte dagegen die Hamas. "Wir werden Gaza zum Friedhof für israelische Soldaten machen", kündigte ein Sprecher an.

Die diplomatischen Bemühungen um ein Ende der Kämpfe stocken. Die Türkei forderte eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates. Die EU verurteilte die Tötung von vier palästinensischen Kindern an einem Strand vom Vortag. Palästinenserpräsident Abbas bat die Schweiz um eine dringliche Konferenz zur Genfer Konvention.

Eines der Hauptziele der israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen ist das weitverzweigte Tunnelsystem der Hamas. Die radikal-islamische Organisation hat unter ihrem Herrschaftsgebiet Hunderte dieser unterirdischen Gänge gegraben. Sie verlaufen zumeist im Grenzgebiet zu Israel und Ägypten - vor allem in der Nähe des Grenzübergangs Rafah - und dienen unterschiedlichen Zwecken.

Auch zwischen Häusern im Inneren des Gazastreifens verlaufen Tunnel, die als Fluchtwege für militante Kämpfer dienen. Die gesamte Führung der Hamas versteckt sich nach israelischen Informationen seit Beginn der Offensive am 8. Juli in unterirdischen Betonbunkern.

Mehr als 1.400 Tunnel zerstört

Ägypten hat bisher nach Militärangaben rund 1.400 Tunnel zerstört, die in den Gazastreifen führten. Auch das israelische Militär spürt immer wieder unterirdische Tunnel auf. Israels Armee hat nach eigenen Angaben seit Beginn der Offensive im Gazastreifen am 8. Juli 230 Mal unterirdische Tunnel angegriffen.

Die in Richtung des israelischen Staatsgebiets gegrabenen Tunnel dienen vor allem Terrorzwecken. Durch die Gänge, die oft in monatelanger mühsamer Arbeit ausgehoben und mit Zement verstärkt werden, können bewaffnete Kämpfer über die Grenzen geschleust werden, um Anschläge zu verüben. Ein weiteres Ziel ist die Entführung von Israelis, bevorzugt Soldaten. Durch einen solchen Tunnel wurde 2006 auch der Grenzsoldat Gilad Shalit in das palästinensische Gebiet verschleppt.

Bruch mit Ägypten

Die im Grenzgebiet zu Ägypten gegrabenen Tunnel dienten jahrelang als Schmugglerwege und damit als "Lebensader" des blockierten palästinensischen Gebiets. Mit der Zerstörung der Tunnel, die Ägypten zu Jahresbeginn noch massiv vorantrieb, haben sich die Ressourcen der Hamas stark verringert. Der Schmuggel von Geld, Gütern und Waffen ist nahezu vollständig unterbunden. Dies trug maßgeblich zum Druck auf das im Gazastreifen herrschende Hamas-Regime bei, das mehr als 40.000 seiner Mitarbeiter im öffentlichen Dienst keine Gehälter mehr zahlen kann.

Die Zerstörungsmöglichkeiten mit Luftangriffen seien begrenzt, betonte Israel vor Beginn der Bodenoffensive immer wieder. Die nach Israel führenden Tunnel würden meist erst im letzten Moment entdeckt, wenn die palästinensischen Kämpfer aus dem Ausgang herauskommen, erklärte der frühere Leiter des Einsatzkommandos der israelischen Streitkräfte, Israel Ziv. Es gebe auch ein ausgeklügeltes System mit Strom und Belüftung um die Tunnel herum. "Sobald man den Boden kontrolliert, kann man die Tunnel effektiv bekämpfen", sagte er.

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