Belgien: Brüssel im Banne der Terrorangst
"Unser Marktbesuch am Place Jourdan fällt an diesem Wochenende aus, wir bleiben zu Hause", sagt ein 42-jähriger EU-Beamter gegenüber dem KURIER. "Die höchste Terrorwarnstufe in Brüssel, das macht uns große Angst", betont der Vater zweier Töchter im Volksschulalter.
Weniger furchtsam zeigt sich eine Dame aus dem noblen Stadtteil Uccle: "Ich habe Vertrauen in unsere Sicherheitskräfte, ich lasse mich von Terroristen nicht einschränken." Samstagmittag war die Anwältin zum Lunch mit Freunden in einem Fischrestaurant verabredet, und sie ging hin.
Kurze Zeit später schlossen große Einkaufshäuser in der Rue Neuve im Zentrum von Brüssel die Tore, kleine Geschäfte ließen die Rollläden runter, Fußballspiele und öffentliche Veranstaltungen wie das Konzert von Johnny Hallyday wurden abgesagt. Seit den frühen Morgenstunden am Samstag ist die U-Bahn geschlossen, und sie soll es bis Sonntagnachmittag bleiben. Auf dem Grand Place zogen gepanzerte Militärfahrzeuge auf. In der Innenstadt patrouillierten Soldaten mit Maschinenpistolen. Bewaffnete Soldaten in Kampfanzügen bewachen Supermärkte in der Migranten-Gemeinde Molenbeek, einer Dschihadisten-Hochburg.
"Konkrete Bedrohung"
Strenge Kontrollen auch an den Bahnhöfen und am Flughafen – Europas Metropole ist im Ausnahmezustand. Belgiens Premier Charles Michel warnte am Samstag via Fernsehansprache die Bewohner der autonomen Region Brüssel vor Terroranschlägen. "Es besteht die Gefahr und es gibt konkrete Hinweise auf geplante Attentate mit Waffen und Sprengstoff an verschiedenen Orten gleichzeitig – ähnlich wie in Paris", sagte er. Als mögliche Ziele nannte Michel "Einkaufszentren, Einkaufsstraßen und den öffentlichen Nahverkehr". Wegen einer "konkreten und unmittelbaren Bedrohung" wurde die höchste Terrorwarnstufe 4 für Brüssel ausgerufen. Für den Rest Belgiens gilt Stufe 3, was einer "möglichen und wahrscheinlichen" Bedrohung entspricht.
Den Warnungen vorausgegangen sei eine "neue Beurteilung" der Sicherheitslage. Details nannten die Behörden vorerst jedoch nicht.
Medien berichteten, dass bei Anti-Terror-Razzien neuerlich Waffen in Molenbeek gefunden wurden. Eine Hypothese geht davon aus, dass Angehörige von Abdelhamid Abaaoud, dem mutmaßlichen Drahtzieher der Pariser Anschläge mit früherem Wohnsitz in Molenbeek, Racheakte planen. Abaaoud war am Mittwoch in der Pariser Vorstadt Saint Denis getötet worden.
Terrorist fürchtet Rache
Hartnäckig hält sich das Gerücht, wonach sich Salah Abdeslam, der Bruder eines der Pariser Selbstmordattentäter, in Brüssel versteckt. Nach ihm wird auf Hochtouren gefahndet. Die Meldungen rund um ihn sind schwer überprüfbar. So soll Abdeslam nach Informationen des Senders ABC via Skype Freunde um Hilfe gebeten haben, ihm nach Syrien zu helfen. Er habe sich im Raum Brüssel versteckt und sei "gefangen" zwischen den Fahndern und lokalen IS-Anhängern. Diese jagten ihn, weil er sich nicht in die Luft gejagt hatte, berichtet ABC.
Der 26-Jährige soll – als er noch nicht zur Fahndung ausgeschrieben war – auf dem Weg von Paris nach Brüssel drei Mal von der Polizei kontrolliert worden sein. Das sagte die Anwältin Carine Couquelet, die einen mutmaßlichen Fluchthelfer vertritt, dem französischen Nachrichtensender LC1.
Es ist nicht das erste Mal, dass in Belgien die höchste Terrorstufe gilt. Zuletzt wurde sie im Mai 2014 nach dem Attentat auf das Jüdische Museum beim Place Sablon, bei dem ein Islamist vier Menschen erschoss, für jüdische Einrichtungen ausgerufen. Seither galt für die EU-Institutionen die Terrorwarnstufe zwei. Vor dem EU-Parlament stehen rund um die Uhr Soldaten mit Maschinenpistolen. Sie kontrollieren die Pässe, erst dann dürfen Abgeordnete, Beamte und Besucher zum Security-Check in das Gebäude.
Für Brüssel ist die Terrorwarnung wenige Wochen vor Weihnachten ein Schock. Das Auswärtige Amt in Berlin hat Reisende zu besonderer Vorsicht aufgerufen.
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