Belarus: Zehntausende protestierten an Lukaschenkos Geburtstag

Opposition demonstration to protest against presidential election results in Minsk
Es kam erneut zu mehr als hundert Festnahmen. Die Führung geht gegen ausländische Journalisten vor. Berlin will daher weißrussischen Botschafter einbestellen.

Wegen Repressionen gegen Medienvertreter will das Auswärtige Amt in Berlin Diplomatenkreisen zufolge "zeitnah" den weißrussischen Botschafter einbestellen. Im Vorfeld der neuen Proteste am Sonntag entzogen die weißrussischen Behörden einigen Medienvertretern die Akkreditierung.

Zehntausende Menschen haben das vierte Wochenende in Folge in Weißrussland (Belarus) trotz beispielloser Drohungen der Behörden bei Massenprotesten den Rücktritt von Staatschef Alexander Lukaschenko gefordert. Die Polizei ging am Sonntag an Lukaschenkos 66. Geburtstag gegen friedliche Demonstranten vor.

Uniformierte steckten vor allem Männer in Gefangenentransporter, wie auf Bildern und Videos zu sehen war. Ein Reporter berichtete aus Minsk, dass der Unabhängigkeitsplatz komplett mit Metallgittern abgesperrt war. Dorthin wollten die Demonstranten ziehen. Mehr als 150 Menschen seien bis zum Nachmittag festgenommen worden, teilte das Innenministerium mit.

Uniformierte versuchten, mit Geländewagen, die an der vorderen Stoßstange hohe Metallgitter hatten, die Menschen im Zentrum zurückzudrängen. Zu sehen war auf Bildern, wie sich Frauen davor auf die Straße legten. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Auch Wasserwerfer wurden in Stellung gebracht. Demonstranten riefen den Polizisten "Schande" entgegen. Bei Festnahmen waren auch Schreie zu hören. Vereinzelt wehrten sich die Bürger dagegen.

Zu dem Protest hatte die Demokratiebewegung aufgerufen. Lukaschenko solle an seinem Geburtstag sehen, dass das Volk gegen ihn und seine Zeit an der Macht abgelaufen sei, hieß es. Protestmärsche gab es in Minsk an verschiedenen Stellen, aber auch in anderen Städten.

Österreichisches Außenamt kritisiert Verhaftungen "aufs Schärfste"

Das Außenministerium in Wien verurteilte am Sonntag einmal mehr "aufs Schärfste" die Verhaftung friedlicher Demonstranten und den Einsatz schwerer militärischer Ausrüstung. "Dies muss unverzüglich gestoppt werden. Es besteht dringender Bedarf nach einem inklusiven nationalen Dialog!", forderte das Außenministerium im Kurznachrichtendienst Twitter. "Wieder einmal, ist eine beeindruckende Zahl von Menschen auf den Straßen von #Belarus, um sicherzustellen, dass ihre Forderungen nach Veränderung, Achtung der demokratischen Grundsätze und Menschenrechte Gehör finden."

Über das Vorgehen der Behörden in Weißrussland zeigte sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) laut einer Aussendung "fassungslos". Es sei wichtig, Solidarität mit der weißrussischen Bevölkerung zu zeigen und die Zivilgesellschaft zu unterstützen, sagte er.

Frauenproteste am Samstag

An den beiden vergangenen Sonntagen waren in Weißrussland Hunderttausende auf den Straßen zu Protesten gegen "Europas letzten Diktator", wie sie Lukaschenko nennen. Die Polizei war nicht eingeschritten. Der Sonntag gilt in Belarus als mittlerweile wichtigster Protesttag.

Bereits am Samstag gab es Proteste, an denen sich hauptsächlich Frauen beteiligten. Sie nehmen in der Demokratiebewegung in Belarus eine herausragende Stellung ein. Das Innenministerium sprach von landesweit 8.500 Teilnehmern. 29 Menschen wurden festgenommen. Zuletzt waren die Sicherheitskräfte wieder verstärkt gegen Demonstranten vorgegangen. Zu Beginn der Proteste gab es Tausende Festnahmen.

Women attend a demonstration against police brutality following recent protests to reject the presidential election results in Minsk

Seit der Präsidentenwahl vor drei Wochen gehen die Menschen in dem zwischen Russland und EU-Mitglied Polen gelegenen Land jeden Tag auf die Straße. Sie fordern den Rücktritt Lukaschenkos nach 26 Jahren an der Macht und Neuwahlen. Doch der beansprucht den Wahlsieg mit 80,1 Prozent der Stimmen für sich. Die Opposition hält dagegen Swetlana Tichanowskaja für die wahre Siegerin.

International steht die Abstimmung als grob gefälscht in der Kritik. Russlands Präsident Wladimir Putin bekräftigte am Wochenende dennoch, dass er Lukaschenko für den Wahlsieger hält. Mit Blick auf die Fälschungsvorwürfe meinte er: In der Welt sei nichts "ideal".

Treffen mit Putin

Bei einem Telefonat am Sonntag zu Lukaschenkos Geburtstag vereinbarten beide Präsidenten ein persönliches Treffen in Moskau, wie der Kreml mitteilte. Ein Zeitpunkt wurde aber nicht genannt.

Putin hatte seinen unter Druck stehenden Kollegen in Minsk zuletzt demonstrativ den Rücken gestärkt und ihm zugesichert, im Falle einer Eskalation notfalls Sicherheitskräfte seines Innenministeriums ins Nachbarland zu schicken. Moskau hatte zuvor den Westen davor gewarnt, sich in den Machtkampf einzumischen.

Vorgehen gegen Journalisten

In den vergangenen Tagen gerieten auch Journalisten ins Visier der autoritären Staatsführung. Mehreren Vertretern westlicher Medien, wie AFP, AP, BBC, ARD und Radio Liberty, seien die Akkreditierungen entzogen worden, berichtete ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur in Minsk. Einige seien bereits des Landes verwiesen worden. Die Behörden wollen damit offenbar eine Berichterstattung über die landesweiten Proteste verhindern. Der ORF berichtet nach eigenen Angaben, aufgrund Russlands Corona-Reisebeschränkungen, derzeit über Weißrussland aus Moskau.

Die nach Litauen geflohene Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja erklärte, das Vorgehen gegen Journalisten sei "ein weiteres Zeichen dafür, dass das Regime moralisch bankrott ist und der einzige Weg, wie es sich an der Macht halten kann, Angst und Einschüchterung sind".

AFP-Chefredakteur Phil Chetwynd forderte die Rückgabe der Akkreditierungen, damit die Journalisten "weiter eine unabhängige und unparteiische Berichterstattung über die Ereignisse in Belarus liefern können". Auch ARD, AP und BBC verurteilten das Vorgehen der weißrussischen Behörden. Deutschland und die USA legten Protest ein.

Der Journalistenverband des Landes sprach von einem massiven Entzug der Arbeitserlaubnis auch für Medienvertreter aus Belarus, die für ausländische Fernseh- oder Rundfunksender, Zeitungen oder Nachrichtenagenturen arbeiteten. Betroffen war nach Angaben des WDR auch ein ARD-Kamerateam, das über Stunden in einer Polizeiwache festgehalten wurde. Es kam am Samstagvormittag wieder frei.

Internationale Kritik

International gab es Kritik am Vorgehen der Behörden. "Wenn Journalistinnen und Journalisten willkürlich und ohne jede Rechtsgrundlage festgesetzt und durch den Entzug ihrer Arbeitserlaubnis an ihrer wichtigen Arbeit gehindert werden, dann ist das überhaupt nicht akzeptabel", sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD). Sein französischer Kollege Jean-Yves Le Drian sagte: "Die willkürlichen Maßnahmen der belarussischen Behörden gegen Journalisten stehen im Widerspruch zur Pressefreiheit."

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) rief die deutsche Bundesregierung zu konkreten Strafen für die Regierung in Minsk auf. Der DJV erklärte, Deutschland habe wegen seines gegenwärtigen EU-Ratsvorsitzes eine besondere Verantwortung, "dem Regime von Alexander Lukaschenko eine deutliche Antwort auf die Verfolgung von Journalisten, Oppositionellen und Kritikern zu geben". Dass Maas den weißrussischen Botschafter einbestellen wolle, sei "ein wichtiges Signal", kommentierte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Aber auch Wirtschaftssanktionen gegen Belarus dürften "kein Tabu mehr" sein.

Der WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn sagte, eine unabhängige Berichterstattung in Belarus werde "beinahe unmöglich gemacht". Tichanowskaja kritisierte die Annullierung der Akkreditierungen als Versuch, die Gesellschaft zu verängstigen und einzuschüchtern.

Militärmanöver

Ungeachtet dessen setzte das weißrussische Militär am Sonntag seine Manöver bei Grodno im Westen des Landes fort. Dem Verteidigungsministerium zufolge kommen dabei auch Panzer, Fallschirmjäger und Artillerie zum Einsatz. Lukaschenko hatte damit gedroht, notfalls auch das Militär gegen Demonstranten einzusetzen.

Angesichts der schweren politischen Krise in Weißrussland rief die katholische Kirche unterdessen zu Gebeten für das Land auf. Die Menschen sollten im September für die Fürsprache des Erzengels Michael beten, "die Eskalation des Konflikts zu beenden und die Krise schnell zu lösen", heißt es in einem Hirtenbrief des Minsker Erzbischofs Tadeusz Kondrusiewicz, der am Sonntag in den katholischen Kirchen des Landes verlesen wurde, wie Kathpress berichtete. Der Erzengel Michael ist Hauptpatron der Kirche in Belarus.

"Unser Vaterland erlebt eine gesellschaftspolitische Krise ohnegleichen, die Tag für Tag größer wird", so der Vorsitzende der Bischofskonferenz von Weißrussland demnach im Hirtenbrief. Blut sei vergossen worden und viele Menschen seien verletzt worden. Die Spaltung der Gesellschaft nehme zu. Immer mehr mache die Runde, dass die "Gefahr des Bürgerkriegs" zunehme.

Kondrusiewicz hatte am Donnerstag Kathpress zufolge die Blockade der Türen einer katholischen Kirche in Minsk durch bewaffnete Polizisten der Spezialeinheit Omon scharf verurteilt. In der Kirche seien am Mittwochabend mehrere Dutzend Demonstranten für 40 Minuten eingesperrt worden, die dorthin vor der Polizei geflohen seien. Es handle sich um eine "grobe Verletzung der Rechte der Gläubigen und der Religionsfreiheit", so der Erzbischof. Er forderte eine Bestrafung der Verantwortlichen des "unangemessenen und rechtswidrigen" Polizeieinsatzes.

Der katholischen Kirche gehören etwa 10 bis 15 Prozent der 9,5 Millionen Weißrussen an. Die überwiegende Mehrheit der Bürger des Landes sind orthodoxe Christen.

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